Stiller
Stiller anbot. Auch blieb ich, obschon der Kommissär sich wie zu einer ausgiebigen Unterredung niederließ, meinerseits stehen.
»Warum haben Sie sich so aufgeregt«, fragte er, »als man sich erkundigte, ob das Ihr richtiger Paß wäre?«
Er blätterte in meinem amerikanischen Paß.
»Herr Kommissär«, sagte ich, »ich vertrage es nicht, wenn man mich am Ärmel faßt. Ich habe Ihren jungen Zöllner mehrmals gewarnt. Ich bedaure, daß ich mich zu einer Ohrfeige habe hinreißen lassen, Herr Kommissär, und natürlich bin ich bereit, die landesübliche Buße sofort zu zahlen. Das versteht sich ja von selbst. Was ist der Tarif?«
Er lächelte nicht ohne Wohlwollen. So einfach, meinte er, wäre es leider nicht. Dazu zündete er sich einen Stumpen an, sorgfältig, indem er den braunen Stumpen etwas zwischen den Lippen rollte, gelassen, gründlich, als spielte die Zeit überhaupt keine Rolle.
»Sie scheinen ein recht bekannter Mann zu sein –«
»Ich?« fragte ich. »Wieso?«
»Ich verstehe nichts von solchen Sachen«, sagte er, »aber dieser Herr Doktor, der Sie erkannt hat, scheint ja eine sehr hohe Meinung von Ihnen zu haben.«
Es war nichts zu machen: die Verwechslung lag vor, und alles, was ich jetzt sagte, wirkte nur noch wie Ziererei oder echte Bescheidenheit.
»Wieso nennen Sie sich White?« fragte er.
Ich redete und redete.
»Wo haben Sie diesen Paß her?« fragte er.
Er nahm es fast gemütlich, rauchte seinen etwas stinkigen Stumpen, die beiden Daumen in seine Hosenträger gehängt, denn es war ein schwüler Nachmittag, so daß der Kommissär, zumal er mich nicht länger für einen Ausländer hielt, seine nicht eben zweckmäßige Jacke etwas aufgeknöpft hatte, dieweil er mich musterte, ohne im mindesten zu hören, was ich sagte.
»Herr Kommissär«, sagte ich, »ich bin betrunken, Sie haben recht, vollkommen recht, aber ich verbitte mir, daß irgendein hergelaufener Herr Doktor –«
»Er sagte, er kenne Sie.«
»Woher?« fragte ich.
»Aus der Illustrierten«, sagte er und nutzte mein verächtliches Schweigen, um hinzuzufügen: »– Sie haben eine Gattin, die in Paris lebt. Stimmt’s?«
»Ich? Eine Gattin?«
»Julika mit Namen.«
»Ich komme nicht von Paris«, erklärte ich, »ich komme von Mexiko, Herr Kommissär.«
Ich gab ihm an: Name des Schiffes, Dauer der Überfahrt, Stunde meiner Ankunft in Le Havre, Stunde meiner Abfahrt von Vera Cruz.
»Das ist ja möglich«, sagte er, »aber Ihre Gattin lebt in Paris. Eine Tänzerin, wenn ich richtig verstanden habe. Sie soll ja eine bildschöne Frau sein.«
Ich schwieg.
»Julika ist ihr Künstlername«, unterrichtete mich der Kommissär. »Früher war sie lungenkrank, heißt es, und lebte in Davos. Aber jetzt leitet sie so eine Ballettschule in Paris. Stimmt’s? Seit sechs Jahren.«
Ich blickte ihn nur an.
»Seit Sie verschollen sind.«
Unwillkürlich hatte ich mich doch gesetzt, um zu hören, was die Leser einer Illustrierten nicht alles wissen über einen Menschen, der mir offenbar, zumindest in den Augen eines Doktors, ähnlich sieht, und nahm mir eine Zigarette, worauf der Kommissär, bereits von der Hochachtung angesteckt, die eben dieser Doktor verbreitet hatte, Feuer gab.
»Sie selbst sind also ein Bildhauer.«
Ich lachte.
»Stimmt’s?« fragte er, ohne eine Antwort zu dulden; sofort ging er eine Frage weiter: »Warum reisen Sie unter einem falschen Namen?«
Er glaubte auch meinem Schwur nicht.
»Es tut mir leid«, sagte er und kramte dabei in einer Schublade, zog ein blaues Formular heraus: »– es tut mir leid, Herr Stiller, aber wenn Sie sich weiterhin weigern, Ihren richtigen Paß zu zeigen, muß ich Sie an die Kriminalpolizei überweisen. Darüber müssen Sie sich klar sein.«
Dazu streifte er die Asche von seinem Stumpen.
»Ich bin nicht Stiller!« wiederholte ich, als er anfing, das umfängliche Formular gewissenhaft auszufüllen, und es war, als hörte er mich überhaupt nicht mehr; ich versuchte es in allen Tonarten; ich sagte es ebensofeierlich wie nüchtern: »Herr Kommissär, ich habe keinen anderen Paß!« oder mit Lachen: »Das ist doch Unsinn!« wobei ich trotz meiner Betrunkenheit sehr genau spürte, daß er mich immer weniger hörte, je öfter ich es wiederholte; schließlich schrie ich: »Ich heiße nicht Stiller, zum Teufel, nochmal!« Ich schrie es und schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Warum regen Sie sich denn so auf?«
Ich erhob mich.
»Herr Kommissär«, sagte ich, »geben Sie mir jetzt
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