Stiller
nur davon. Schön wirkt ein indisches Paar, vermutlich Gäste eines Kongresses. Es gibt hier viele Kongresse, überhaupt etwas Internationales mit großen und verstaubten Cars, mit Rudeln von deutschen Lederhosen, und jede Kellnerin redet amerikanisch. Etwas Allerwelthaftes gehört zum Wesen dieses Städtchens, das für den Fremden, wie gesagt, sehr angenehm ist; es ist provinziell, ohne langweilig zu sein. Es ist provinziell mit Konzerten von Furtwängler, mit Gastspielen von Jean-Louis Barrault, mit Ausstellungen von Rembrandt bis Picasso, mit Schauspielkunst deutscher Emigranten, mit Niederlassung von Thomas Mann, aber auch mit allerlei eigenen Köpfen, die draußen in der Welt etwas leisten, bis ihr Ruhm nach und nach auch dem eigenen Lande schmeichelt, das seinerseits keinen Ruhm zu machen imstande ist, eben weil es provinziell ist, nämlich geschichtslos. Aber was geht das mich an! Für den Fremden ist es ein Vergnügen, in diesem Städtchen zu schlendern, zumal wenn er Geld hat, und es hätte ein entzückender Nachmittag werden können, wie gesagt – wäre Julika nicht wieder in ihre fixe Idee verfallen, mich für ihren verschollenen Gatten zu halten.
Einmal bleibt sie stehen.
»Hier!« sagt sie, zeigt auf die Figur aus Bronze, die durch den öffentlichen Ankauf nicht besser geworden ist, eine Art von Skulptur, womit ich ehrlicherweise nichts anzufangen weiß, und als ich weitergehen möchte, nimmt Julika mich am Ärmel, zeigt auf den Sockel, wo in ziemlich großen Lettern zu lesen ist: A. Stiller. (Zum Glück habe ich mich nicht geäußert, sowie ich mich nämlich über eine Arbeit ihres verschollenen Stiller äußere, nehmen sie es als Selbstkritik und als weiteres Indiz, daß ich Stiller sei) ... Ein anderes Mal, wie Julika mich am Ärmel zu nehmen das leidige Bedürfnis hat, sehe ich zum Glück wenigstens keine Skulptur, sondern Schwäne, eine Flottille natürlicher Schwäne mit ihrem weißen Gefieder in der Sonne; Flaum liegt auf dem grünen Wasser um sie. Und im Hintergrund,so wie Julika mich stellt, sieht man das sogenannte Großmünster; ich verstehe: genau wie im Album! Was sie damit beweisen will, weiß ich nicht. Schließlich bleibe ich mitten in der Straße (innerhalb des Fußgängerstreifens) einfach stehen; umsonst nimmt sie mich wieder am Ärmel, verzagt wie über einen störrischen Esel, als ich frage:
»Wo gibt es hier Whisky?«
»Wir können hier nicht stehenbleiben!«
Schon schwirren die Motorroller links und rechts an uns vorbei, ein Taxi hupt mich an, dann überdröhnt uns ein Lastwagen mit Anhänger, und Julika ist bleich wie Kreide, obzwar wir nun wieder das grüne Licht haben. Ein fremder Fußgänger, dem ich nichts getan habe, beschimpft mich mit Ausdrücken moralischer Entrüstung, als wäre es in einem Land, das sich täglich seiner Freiheiten rühmt, nicht statthaft, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen... . Später, in einem Gartenrestaurant unter bunten Schirmen, frage ich Julika:
»Wie lebst du eigentlich in Paris?«
Ich duze sie nun auch; nicht der Kaution wegen, weiß Gott, sondern aus holdem Bedürfnis, unwillkürlich. Es ist stets wieder etwas Wunderbares, dieser Schauer erster Vertraulichkeit, etwas wie ein Zauberstab über alle Welt, die plötzlich wie zu schweben beginnt, etwas so Leises, was doch alles übertönt.
Unwillkürlich, aber dann von unverhoffter Seligkeit wie betäubt, so daß ich etwas anderes als unsere kleine Berührung kaum wahrzunehmen vermag, habe ich meine Hand auf ihre Schulter gelegt. Eine selige Weile lang, bis das neue Du auch wieder zur Gewöhnung und sozusagen klanglos geworden ist, fühlt man sich ja allen Menschen wie verschwistert, inbegriffen den Kellner, der den Whisky bringt; man hat ein Gefühl, nun bedürfe es in dieser Welt überhaupt keiner Verstellung mehr, ein Gefühl so friedlichen Übermuts. Man lacht über sein Gefängnis! In Fällen, wo dieses Du eine reifere und doch wohl lebensmutige Frau ist, habe ich dann allerdings ein natürliches, übrigens in meinem Übermut nicht allzu ernstes oder gar dringendes Bedürfnis, eher eine spielerische Neugier, wer sonst noch an Männern mit meinem Du im Spiele steht. In ihren Erzählungen von Paris, von der Ballettschule, die ja vermutlich kein Kloster ist, kommt nie ein Mann vor, kein FranÅois, kein André, kein Pierre, kein Jacques und nichts. Ein Paris der Amazonen; was soll das heißen? Schließlich frage ich sie rundheraus:
»Bist du sehr glücklich in Paris?«
Das darf man
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