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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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ist, komme ich mir vor wie ein öliger, verschwitzter, stinkiger Fischer mit einer kristallenen Wasserfee!« Und das war kurz nach der Heirat ... Man hat den Eindruck, daß der verschollene Stiller, wie sehr er von Julika fasziniert war, etwas im Wesen dieser Frau ganz einfach nicht angenommen, wahrscheinlich überhaupt nicht einmal erkannt hat, eben ihre Frigidität. Und daß es so etwas gibt, und zwar nicht bloß als krankhafte, sondern im Gegenteilals naturhafte Erscheinung, scheint die schöne Julika selber nicht gewußt zu haben. Ob sie es heute weiß? Neulich war sie doch ziemlich verdutzt bei meiner beiläufigen Erwähnung der wissenschaftlichen These, daß in der ganzen Natur kein einziges Weibchen, ausgenommen die menschliche Frau, den sogenannten Orgasmus erfährt. Wir sprachen dann nicht weiter davon. Vermutlich hat die schöne Julika unter dieser Tatsache, daß die männliche Sinnlichkeit sie immer etwas ekelte, auf die einsamste Art und Weise gelitten, wirklich gelitten, obschon es natürlich kein Grund ist, sich deswegen als ein halbes Geschöpf, ein mißratenes Weib oder gar als Künstlerin vorzukommen. So manches an dieser Frau, zumal wenn sie von ihrem verschollenen Stiller redet, ist doch wohl eine Selbsttäuschung von rührender Verstocktheit, ja, man könnte versucht sein, nicht einmal ihre ärztlich beglaubigte und in ihrem Leben so ungeheuer kostspielige Tuberkulose ganz zu glauben. Warum hat Julika mit niemandem sprechen können? Möglicherweise sind es sogar nur wenige Frauen, die ohne Schauspielerei jenen hinreißenden Sinnenrausch erleben, den sie von der Begegnung mit dem Mann erwarten, glauben erwarten zu müssen auf Grund der Romane, die, von Männern geschrieben, immer davon munkeln; hinzu kommt die eitle Lüge der Frauen unter sich, und vielleicht war die schöne Julika nur etwas ehrlicher, dabei allerdings erschreckt, so daß sie nach außen verstummte, sich in Prinzen und Pagen verkleidete, sich in ein Dickicht einsamer Nöte verkroch, wohin ihr kein Mann zu folgen vermochte. Kein Wunder also, daß ihr das Ballett und was immer mit Ballett zusammenhing, auch ein Ballett mittelmäßiger Art, wie es an Stadttheatern üblich ist, schlechterdings über alles ging, jedenfalls über Stiller. Ein paar verzagte Anläufe, sich als Lesbierin zu versuchen, scheinen ebenfalls nichts verändert zu haben; das Ballett blieb die einzige Möglichkeit ihrer Wollust. Andere Frauen ersparen sich das Ballett, indem sie dafür die Mutterschaft haben, und werden, indem sie den Mann als notwendigen Erzeuger ertragen und dann überspringen, glücklich mit ihren Kindern, die ihnen genau so über alles gehen wie einer Balletteuse eben ihr Ballett; sie können nur noch von Kindern reden, von ihren Kindern, auch wenn sie scheinbar von anderen Kindern reden, und geben sich selber auf, scheinbar, um sich selbst in ihren Kindern besser liebkosen zu können, was sie dann für mütterliche Liebe, für Hingabe und Opfer und schließlich sogar für Kindererziehung halten. Natürlich ist es der pure Narzismuß. Bei der schönen Julika, könnte man sagen, hatte dieser Narzißmus der Frigidenwenigstens den Vorzug, daß er keine leibhaftigen Menschen mißbrauchte, sondern nur Kunst, Tschaikowsky und Rimsky-Korsakow, mitunter auch Ravel, gewiß, und Strawinsky, aber keine Kinder, die nur diese einzige Mutter haben. Frau Julika Stiller-Tschudy, denke ich, würde allerdings aufbrausen, wenn ich ihr so offen heraus sagte, daß die Frau in der Kunst mir meistens verdächtig ist; vergeblich könnte ich ihr beteuern, daß darin keine Geringschätzung der Frau liegt, anderseits auch wieder keine Geringschätzung der Kunst. Unbewußtermaßen mag der verschollene Stiller (es liegt mir sonst wenig daran, mit dem Verschollenen einig zu sein) ähnlich empfunden haben; nur machte er einen Vorwurf daraus, scheint es, einen in Zärtlichkeit verborgenen Vorwurf, daß Julika ihre Wollust nie mit ihm erlebte, einen Vorwurf gegen Julika und einen ebenso albernen Vorwurf gegen sich selbst. Als wäre jede Frau dazu erschaffen, auch in diesem Sinne die Gefährtin des Mannes zu sein! Es ist auffallend, wie schon gesagt, und bezeichnend, daß dieser Mann sich immerzu glaubte entschuldigen zu müssen; er nahm es offenbar als Niederlage seiner Männlichkeit, wenn die schöne Balletteuse, vielleicht nur etwas ehrlicher als andere Mädchen, nicht in Empfindung zerschmolz unter seinem Kuß. Ihre Spröde war erschreckend, mag sein, aber echt. Sie tat

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