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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Gang etwas Geschirr hinaustrug, und behauptete steif und fest, sie könne mit der Hälfte ihrer Kräfte leben, wenn sie ein wenig Vernunft annähme, ein wenig von Stiller lernte. Was sollte Julika darauf antworten? Seine Kleinlichkeit machte sie nur traurig. Ein Mensch von Geist, wie Stiller es zu sein meinte, eine geschlagene Stunde lang konnte er darüber sprechen,daß Julika, wenn sie vom Tisch in die Küche ging, nicht auf dem gleichen Gang etwas Geschirr hinaustrug! Julika griff sich an den Kopf. Aus so etwas konnte er eine halbe Philosophie machen, während Julika, nach Proben und Haushalt, einfach zum Umsinken müde war. Dann wieder soll er entzückend gewesen sein. Aber die Gereiztheiten, scheint es, häuften sich doch. Einmal, als die arme Julika trotz starkem Fieber ihr abendliches Auftreten nicht absagen wollte, weil sie doch wußte, wieviel von ihrem Part an diesem Abend abhing, tat Stiller es über ihren Kopf hinweg, buchstäblich, er nahm das Telefon über die liegende Julika hinweg, sagte, seine Frau könnte heute abend leider nicht auftreten, eine Eigenmächtigkeit, welche die Künstlerin sich nicht gefallen lassen konnte. Was bildete Stiller sich eigentlich ein! Sie bestellte, indem sie ihrem Mann sogleich das Telefon aus der Hand nahm, ein Taxi und fuhr trotzdem zum Theater. Der Krach war da, einer der ersten in dieser Ehe, und kurz darauf war auch das Taxi da. Stiller schrie noch ins Treppenhaus hinunter: »Mache dich nur kaputt, meinetwegen, mache dich kaputt, aber meine Schuld ist es nicht ...« In solchen Augenblicken erschrak sie über ihn; Stiller schien in solchen Augenblicken zu vergessen, wen er geheiratet hatte, zwar nicht eine Tochter aus reichem, aber aus kultiviertem Haus; ihre Mutter, die Ungarin, war eine Dame aus erster Gesellschaft gewesen, irgendwie aristokratisch, ihr verstorbener Vater immerhin Gesandter in Budapest, wogegen Stiller (es muß gesagt werden) aus kleinbürgerlichem Milieu kam, eigentlich überhaupt aus keinem Milieu, höchstens erzählte er einmal von seinem Stiefvater, der irgendwo im Altersasyl untergebracht war, überhaupt nie von seinem Vater, und seine Mutter war die Tochter eines Eisenbahners gewesen. Es ist komisch und gräßlich, daß solche Dinge zwischen zwei Menschen, die sich lieben, plötzlich eine Rolle spielen, aber es ist so. Natürlich sagte Julika nie ein diesbezügliches Wort, fast nie. Sie empfand es nur, beispielsweise wenn Stiller so in das Treppenhaus brüllte. Es muß furchtbar gewesen sein. Nachher taten ihm solche Ausbrüche jedesmal sehr leid. Stiller entschuldigte sich und hatte oft sehr nette Einfälle, etwas wiedergutzumachen, sei es mit einer Lieblingsspeise von Julika, die nur er zu kochen verstand, sei es mit einem seidenen Schal, da sie den früheren eben verloren hatte, oder mit Flieder, den er auf dem Weg zum Theater, wo er sie nach der Vorstellung abholte, irgendwo über den Zaun gestohlen hatte; immer wieder ging es aufs beste, ja eigentlich und im Grunde genommen soll es doch eine äußerst glückliche Ehe gewesen sein – bis diese andere auftauchte.
    Das war vor etwa sieben Jahren.
    Julika war ahnungslos. Julika hätte nie an eine solche Möglichkeit gedacht. Als eine junge Frau, die ihren Mann doch über alles liebte, schien es ihr ausgeschlossen, daß Stiller eines solchen Verrates fähig wäre, ja, sie dachte ganz einfach nicht daran, wie gesagt. Die arme Julika, ganz Hingabe an ihren Beruf und an ihren Mann, merkte es nur daran, daß Stiller anfing, ihr jahrelanges Fieber nicht mehr ernstzunehmen; zwar erkundigte er sich jeden Abend, wenn sie von der Vorstellung kam, nach der Anzahl der Vorhänge, doch alles mit einem leisen Stich ins Spöttische. Im gleichen Ton konnte er fragen: Wie geht’s deiner Tuberkulose? Oder wenn Julika von der hanebüchenen Unverschämtheit eines Kritikers erzählte, der Julika überhaupt nicht erwähnt hatte, war Stiller, ihr Gatte, von einer geradezu schnöden Gerechtigkeit, fand, Julika sollte es nicht so wichtig nehmen und vielleicht hätte der Kritiker sie aus purer Nachlässigkeit nicht erwähnt, nichts weiter. Vor allem aber machte es Julika stutzig, daß Stiller nun ebenfalls anfing, seine Bildhauerei über alles zu stellen, und es infolgedessen für richtig hielt, mehrere Tage in seinem Atelier zu hausen, einmal sogar eine volle Woche, bis Julika eines Vormittags einfach in sein Atelier ging und ihn aufsuchte. Sie fand ihn pfeifend beim Gläsertrocknen, witterte sofort den Besuch vom

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