Stiller
nicht spröde, um aufzureizen, im Gegenteil, diese Julika versuchte eher nachzugeben, um alles Aufreizende zu mindern, und erlebte dann allerdings sehr bald, daß sich beim Nachgeben für sie der Ekel einstellte, jener einsame Ekel, den sie unter allen Umständen verbergen mußte. Sie wollte ihn doch nicht verletzen. Sie wollte ihn ja nicht verlieren. Stiller war ihr lieber als ein anderer Mann. Und anderseits widerstrebte es ihr einfach, jene Miene wilder Auflösung und seliger Ohnmacht zu heucheln, die der Mann in seiner Eitelkeit fast immer glaubt, sie kann noch so schlecht gespielt werden, diese Miene des Überwältigtseins, die er haben muß, um an die Liebe einer Frau und vor allem an seine Männlichkeit glauben zu können. Ach, es war gräßlich! Und dagegen war es einfach ein Labsal, auf der Bühne zu stehen; tausend fremde Blicke auf ihrem Körper zu fühlen, Blicke so unterschiedlicher Art, Blicke von Gymnasiasten und verheirateten Biedermännern, Blicke, die alles eher als die tänzerische Leistung erfaßten, in der Tat, es machte Julika weniger aus, als wenn Stiller, ihr Mann, seine harte und von der Bildhauerei etwas rauhe Hand auf ihren Körper legte. Ihre hilflose Ausrede, daß sie müde sei, verdroß ihn oft genug. Stiller hielt sich für die Zärtlichkeit in Person, konnte aber nicht verstehen, daß man müde war. Stiller bezog immer allesauf sich! ... Irgendwie war Julika fast erleichtert, als ihr der Theaterarzt zum erstenmal mitteilte, sie hätte es ein wenig auf der Lunge, müßte sich jedenfalls schonen. Die immer etwas staubige Luft auf der Bühne war nun gerade für Julika gar nicht günstig, jedoch in ihrem Beruf unvermeidlich, um so mehr mußte Julika sich außerhalb der Bühne schonen. So sagte es der Arzt. Es war also keine Laune von der schönen Julika, es war ein Gebot der Vernunft, wenn sie um Schonung und Rücksicht und viel Ruhe bat. Es ging um ihre Gesundheit. Julika war nun einmal ein zartes, ein besonders zartes Geschöpf; deswegen liebte sie ihren Stiller ja nicht weniger. Nur mußte er, wie gesagt, etwas Verständnis haben.
Stiller hatte es immer weniger, scheint es, dieses Verständnis für seine Frau; seine Ich-Bezogenheit ging so weit, daß er sogar ihre ärztlich begründete Müdigkeit auf sich bezog, nur auf sich, und es kam vor, daß Stiller wortlos aus der Wohnung ging, die Tür schmetterte, nur weil Julika gesagt hatte, sie wäre müde, und dann kam er irgendwann in der Nacht nach Hause mit dem leidigen Geruch von Wirtschaften, mit einem Atem, der nun wirklich eine Zumutung war. Oder er sagte: Ich möchte dich einmal erleben, wenn du nicht müde bist! und seine Stimme war voll Vorwurf, voll Grimm. Was sollte Julika denn tun? Er sagte allerdings nie: Du bist einfach keine Frau! aber Julika spürte sehr wohl, daß er sie mit anderen Frauen verglich. Stiller trieb sie nachgerade zur Verzweiflung, und um sich selbst und ihm und der Welt überhaupt das Gegenteil zu beweisen, gab es wohl kein anderes Mittel als eine möglichst unverhohlene Flirterei, was in ihrem Leben bisher nie vorgekommen war. Stiller trieb sie dazu. Stiller fand es geschmacklos, wie Julika sich von jedem Herrn auf Durchreise, am liebsten von solchen, die das Schicksal bald wieder entfernte, den Hof machen ließ. Julika machte es Spaß, das Lob ihrer Schönheit zu hören in Verbindung mit einem Lob auf ihre Kunst; alles Weitere ging ihr zu weit. Stiller war lange nicht eifersüchtig, nur schockiert, wenn seine Julika im Restaurant und auf der Straße vor dem Restaurant, beim Abschied, Küsse von sich gab, Küsse dahin, Küsse dorthin; Stiller sagte dann nur: Bist du sicher, daß du alle geküßt hast? Er nahm es als kindische Spielerei. Ein anderes Mal war er wütend; es war nach einem Ball, Julika eine grazile Bacchantin, die bald da, bald dort auf den Knien eines Herrn saß und nicht aufhören konnte, sich als ›tolle Frau‹ aufzuspielen; Stiller wartete mit ihrem Mantel und fand es, wie er sich in seiner vulgären Art ausdrückte, zum Kotzen. Es müssen sehr kluge und wirklich unterhaltsameHerren gewesen sein, die der schönen Julika nicht ohne Charme und Witz, den sie ihrerseits durch ihre Schönheit parierte, den Hof machten; Stiller war stets der Meinung, daß es sich ausschließlich um mehr oder minder homosexuelle Herren handelte, und sein Lächeln, da Julika nie wußte, woran man so etwas erkennen könnte, beleidigte sie begreiflicherweise. Und es war wohl nicht zuletzt dieses Lächeln, was die
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