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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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sie redete. Und wie sollte Julika zärtlich sein zu einem Mann, der im Grunde, sie spürte es doch, voll Groll war? Eines Morgens, mitten aus dem Frühstück heraus, fragte Stiller, warum sie im Ballett erzählt hätte, daß sein neuer Mantel, ein amerikanischer GI-Mantel, von ihrem Geld gekauft wäre. Julika verstand seine Frage nicht. »Warum erzählst du das dem ganzen Ballett?« fragte er, zitternd vor Groll, indem er irgendeine Kleinigkeit aufbauschte. »Was ist denn dabei?«fragte sie, und Stiller riß ihr die Zeitung aus der Hand, erklärte ihr eine halbe Stunde lang, was, seiner Meinung nach, dabei wäre. Seine Auslegung war infam. Julika kamen die Tränen, und als Stiller nicht aufhörte, schrie sie: »Geh hinaus, ich bitte dich, geh hinaus!« Stiller ging nicht, obschon er sehen mußte, wie seine infame Auslegung sie verletzte. »Dann gehe ich!« sagte Julika, aber Stiller ließ sie nicht gehen. »Ich will dich nicht mehr sehen!« schrie die Bedrängte. »Das ist eine Gemeinheit von dir, eine Hundsgemeinheit!« Übrigens soll es das einzige Mal gewesen sein, ungefähr das einzige Mal, daß Julika in ihrer Empörung derart deutliche Ausdrücke gebrauchte. Ob Stiller einsah, wie unrecht er dieser Frau tat? Es fiel ihm nicht ein, sich zu entschuldigen. Und der Riß blieb offen. Einmal darüber aufgeklärt, wie infam Stiller irgendeine Kleinigkeit auszulegen sich nicht schämte, hatte Julika fortan Mühe, überhaupt noch etwas zu sagen. Und das Schweigen wucherte, ein Schweigen, das schlimmer war als Zank. Stiller schien keine Ahnung zu haben, wie sehr er Julika verletzt hatte; er deutete sich ihr Tun und Lassen, wie es ihm in seiner Ich-Bezogenheit gerade paßte, eigensinnig und unbelehrbar.
    Dann noch etwas anderes!
    Julika hatte damals einen Hund, einen Fox, wie er zu kinderlosen Paaren doch wohl gehört, Foxlein genannt oder in der Sprache dieses Landes, übrigens einer höchst liebenswerten, wenn auch nicht gerade klangschönen, aber erdig-dinglichen und bei genauerem Hinhören gar nicht unzärtlichen Sprache: Foxli. Sie liebte ihn, versteht sich, sonst hätte man ihn ja nicht zu haben brauchen; das ist das Beglückende an Hunden, man liebt sie oder man braucht sie nicht zu haben. Stiller verstand nie, daß man Foxli so lieben konnte, und es gelang ihm auch kaum, in Foxlis seelenvollen Augen zu lesen. Er spöttelte über Julikas mütterliche Geduld, wenn man mit Foxli, der schnuppernd von Baum zu Baum lief, überallhin zu spät kam, und nannte es höhnisch: das Heilige Tier. Man wußte, daß Julika zu spät kommen würde, und niemand nahm es übel, Foxli war zu drollig. Im Restaurant durfte Foxli, dank der Schönheit seiner Herrin, der kaum ein einigermaßen gepflegter Kellner sich zu widersetzen wagte, genau so gut wie Stiller auf einem Polsterstuhl sitzen. Daß Stiller sich nie damit abfinden konnte, war seine Sache, sein Eigensinn. Wozu sollte Julika, die ohnehin nie sehr viel aß, die Hälfte ihres herrlichen Filet Mignon stehenlassen? Schließlich, es wurde nicht gesagt, zahlte Julika ja das meiste, Stiller hatte dafür seinen Wein. Er sagte auch nichts, dennoch hatte Julikaoft das Gefühl, sie müßte Foxli in Schutz nehmen. Und Foxli empfand es genau so. Foxli war auf ihrer Seite. Das ärgerte Stiller vielleicht, ihre Mehrzahl; Julika und Foxli, beide von allen Seiten bewundert, überstimmten ihn in allen entscheidenden Fragen. Nicht daß Stiller ihr süßes Hündchen je geschlagen hätte; das fehlte noch! Aber Stiller liebte es nicht; er tat, als wäre Foxli nicht da. Kaum zu Hause im Flur, von Foxli mit herzlichen Sprüngen empfangen, kümmerte sich Stiller nur um seine Post, immer nur seine Post, als meldete sich je ein Mäzen mit Geld. Einmal sagte wieder jemand: Ach Julika, habt ihr ein süßes Tier! worauf Stiller antwortete: Sehr süß, ja, demnächst werden wir Konfitüre daraus machen! Stiller war einfach eifersüchtig auf ihren Hund, gab es aber nicht zu, sondern machte sich wieder so eine Theorie, die überhaupt nichts mit dem lebendigen Foxli zu tun hatte, und redete abermals nur von Julikas (nicht von Foxlis) Seelenleben, wovon er nun schon gar nichts verstand. Warum ließ Stiller, zum Beispiel, Foxli nie in sein Atelier? Und dann wunderte er sich hinwiederum, daß seine Frau oft monatelang, einmal fast ein ganzes Jahr nicht in sein Atelier kam, enttäuscht, daß sie so wenig Anteil nahm an seiner schöpferischen Arbeit. Julika wußte wirklich nicht, wo sie Foxli hätte anbinden

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