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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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arme Julika immer weitertrieb, weiter als es sie von Natur aus drängte, schließlich denn auch in die Arme eines jungen Reklameberaters von anerkannter Männlichkeit, der zudem ein zauberhaftes Häuschen bei Ascona besaß. Stiller hatte wohl nicht erwartet, daß Julika es wagen würde; er wußte Bescheid, daß der Reklameberater, ein Bekannter von Stiller, lange schon in die Balletteuse verliebt war, und irgendwie juckte es wohl Stiller, so daß er selbst die erste Begegnung veranstaltete. Wollte er eine Probe haben, ob Julika eine Frau ist? Und dann, als es so weit gekommen war, verlor er fast den Verstand, der gute Stiller; er fraß Veronal, um tagelang zu schlafen, und verriegelte sich in seinem Atelier. Nun war es Julika, die ihn geschmacklos fand. Wahrscheinlich hatte er Angst, nun wäre der Mann angetreten, der richtige Mann, und ohne das mindeste zu wissen, streckte Stiller schon die Waffen. In seinen kläglichen Briefen sah er Julika, seine Balletteuse, bereits mit Kinderwagen, eine Mama am Lago Maggiore. Sein Getue muß für Julika um so lästiger gewesen sein, als die Geschichte selbst, wie es scheint, von kurzer Dauer war, eine Woche in Ascona vielleicht. Der junge Reklameberater hatte es streng, flog dahin und dorthin, während Julika natürlich weiterhin ihre Proben hatte. Stiller fragte jeden zweiten Tag, warum Julika nicht nach Ascona führe; dabei blickte er sie immer an, als schuldete sie ihm irgendeine Antwort auf irgendeine Frage, die Julika indessen, ohne sich im mindesten zu verstellen, nicht erriet. Was wollte Stiller denn von ihr wissen? Für Julika war es nicht der Rede wert, ganz abgesehen davon, daß sie nun einmal ein verhaltenes und scheues Wesen war, das es nicht zum Reden drängt, und schließlich, fand sie, konnte Stiller doch merken, daß es zu Ende war. Stiller merkte es nicht, scheint es, oder nicht mit Gewißheit. Der fliegende Reklameberater blieb für ihn der große Mann, der Julika glücklich zu machen vermochte; davon war Stiller nun einmal vom ersten Schrecken an überzeugt, blind für die Tatsache, daß seine Julika durchaus unverändert blieb. Er glaubte wohl, sie verstelle sich vor ihm, sie verberge ihre Glückseligkeit, um ihn zu schonen, und dabei hatte Julika nach allem, was Stiller sich ihr gegenüber schon gestattet hatte, nicht dasmindeste Bedürfnis, ihn zu schonen. Stiller lebte noch monatelang wie auf der Lauer, unterstand sich einmal sogar, ihre Handtasche zu durchsuchen, um irgendein Zeichen zu finden, einen Brief, eine Fahrkarte nach Ascona, eine Notiz im Kalenderchen. Ihr Kalenderchen enthielt aber nur Notizen über Proben, über Coiffeur, über Zahnarzt. Man kann sich vorstellen, wie lästig es für Julika gewesen sein muß, daß Stiller sich immer noch mit dieser Sache beschäftigte, wenn auch nur in Gedanken, wie lästig vor allem, daß Stiller zwar ohne Vorwürfe, aber mit der Miene eines Verfolgten immer auf irgend etwas wartete, auf ein erlösendes Wort. Was hätte Julika ihm sagen sollen? Einmal, als Stiller offen heraus wissen wollte, was der Reklameberater ihr bedeutet hätte, sagte sie ihm: »Du hast mich zur Verzweiflung gebracht, Stiller, sprechen wir nicht mehr davon, ich bin ja zurückgekommen, aber du mußt mich nicht zur Verzweiflung treiben! ...« Jedenfalls war sich Julika keiner Schuld bewußt, die Stiller nicht seinerseits schon um ein Vielfaches überboten hätte, und also lag es doch eigentlich an ihm, alles zu versuchen, damit sie, die zu ihm zurückgekehrt war, glücklich würde bei ihm.
    Einige Monate ging es wieder wunderbar.
    Stiller, offenbar auf Umwegen orientiert, daß der fliegende Reklameberater längst eine andere Freundin hatte, erwartete Julika vor dem Theater, kochte seinen valencianischen Reis und war nicht gekränkt, wenn Julika, müde von der Probe, wenig oder überhaupt nichts davon essen konnte; er nahm Anteil an ihrem fürchterlichen Zank mit einem Regisseur und gab ihr recht; er schonte sie, wie der Arzt es verlangte, oder gab sich wenigstens Mühe – einige Monate lang. Dann, scheint es, versank er wieder in seine Ich-Bezogenheit und erwartete, daß Julika sich nur um ihn kümmerte; wieder ging er wortlos aus der Wohnung, schmetterte die Tür und besoff sich, beispielsweise weil Julika zu müde war, um sich stundenlang für Bildhauerei zu interessieren. Am andern Tag gestattete sie sich die Bemerkung, daß seine Trinkerei sehr viel Geld kostete. Stiller verübelte es ihr, wenn sie schwieg, und verübelte es ihr, wenn

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