Stiller
ich eine Marke aus Ruß. Droben auf der Erde, dachte ich, mußte es bald Morgen werden. Einmal versuchte ich, ob ich den Fels für meinen Ausstieg (Marke Nummer eins) wiederfinden konnte, ob meine Wegzeichen genügten.Sie genügten; aber ich schwitzte, als ich die Marke Nummer eins wiedergefunden hatte, und dabei war es eigentlich sehr kühl, versteht sich. Fröstelnd und schon dadurch zu weiteren Unternehmungen gezwungen, aber erleichtert, als hätte ich den Faden der Ariadne, forschte ich nach der anderen Seite, kletterte weiter hinab, besinnungslos bei aller Vorsicht (nie vergaß ich, die Marke mit Ruß zu machen) und beklommen von jedem Hall meiner rutschenden Schritte, der mich hören ließ, wie geräumig sie war, diese Finsternis im Innern der Erde, wie löcherig nach immer weiteren Geheimnissen, die noch kein Mensch betreten hat, ja, und war meine Laterne nicht das erste Licht, das je in dieses Märchen fiel, das erste Licht, das sie zum Vorschein brachte, all diese Säle mit ihren glänzenden Säulen? Hinter mir, kaum von meiner kleinen Laterne verlassen, fiel alles wieder in Finsternis, wie nie gewesen, und es war der Finsternis nicht anzusehen, ob Finsternis des Gesteins oder Finsternis der Leere. In Totenstille tropfte es aus Jahrtausenden. Wohin denn wollte ich? Wahrscheinlich wollte ich einfach in eine Kaverne gelangen, wo es nicht weitergeht, wo das Ungewisse aufhört, wo die Steine, die sich unter meinen Stiefeln lösten, nicht immer noch in weitere Tiefen kollerten. So weit gelangte ich nicht. Ein menschliches Skelett, das da plötzlich im Schein meiner Laterne lag, entfesselte meine Angst derart, daß ich schrie, im ersten Augenblick sogar floh, stolperte, eine Scheibe meiner Laterne zerschlug und im Gesicht blutete. Das Gefühl, in einer Falle zu sein und wie dieser Vorgänger nie wieder herauszukommen, so daß ich nur noch die Wahl hätte, zu verhungern oder mich an meinem Lasso zu erhängen, lähmte mich an Leib und Seele; ich hatte mich setzen müssen, ich leckte das warme Blut, das mir über das Gesicht rann, und mußte meinen ganzen Verstand zusammennehmen, um nicht das Skelett, das da im runden Schein der Lampe lag, schlechterdings für mein eigenes zu halten. Irgendwie hatte ich vergessen, mit der Zeit zu rechnen, mit meinem Vorrat an Licht, und wahrscheinlich war jenes Skelett (so denke ich heute) meine Rettung. Ich dachte nur noch an Rückzug. Ob es ein Indianer oder ein Weißer gewesen ist, der all diese Grotten schon vor mir erblickt hatte, weiß ich nicht; nach Resten zu suchen, die darauf antworteten, hatte ich plötzlich keine Zeit mehr. – Ich erreichte die Pforte, als der Abend dämmerte. Die Sonne verglomm hinter einer Wolke von schwirrenden Fledermäusen, und droben auf der Erde sah es aus, als wäre nichts gewesen. Mein Pferd wieherte vor Durst. Erschöpft wie ich war, legte ich mich auf die warme Erde, von grauem Sand und Blut verschmiert,und versuchte zu essen. Aus Angst, verhungern zu müssen wie mein Vorgänger da unten, hatte ich bisher keinen Bissen aus meiner Tasche genommen. Ich erlebte natürlich das ranzige Hammelfleisch (Hammelfleisch hing mir damals zum Hals heraus) wie eine Gnade. Und dazu, obschon es noch ein dämmerheller Himmel war, ließ ich meine Laterne brennen, als müßte, wenn meine Laterne erlischt, alles erlöschen, auch der Mond, der sich gerade über die violette Ebene erhob, und die Sterne über der Prärie, ja selbst die Sonne jenseits der Berge, die jetzt über dem Ozean hing und China beschien.
In der Ranch fluchten sie.
Jim zu berichten, was ich gesehen hatte, war schwer, unmöglich mit meinen stümperhaften Kenntnissen in Geologie. Ich erklärte ihm: Es sind Felsen aus Kalk, stark genug für erstaunliche Spannweiten. Jim traute meinen Schätzungen nicht, dabei hat die spätere Erforschung jener Kavernen (die Touristen erreichen sie heutzutage von Carlsbad her, New Mexico, mit dem Bus) ganz andere Maße ergeben: der große Saal ist sechshundert Fuß breit, dreihundertfünfzig Fuß hoch, mehr als einen Kilometer lang, er befindet sich siebenhundert Fuß unter der Erde und ist lange nicht die unterste Kaverne. Irgendwann einmal versiegte der unterirdische Strom, der dieses Gebirge ausgehöhlt hatte; warum er versiegte, weiß ich nicht. Ein gewaltiger Strom muß es gewesen sein, ein Vielfaches von jenem Rio Grande, der artig in den nahen Tälern fließt. Sei es, daß er durch Aushöhlung in immer weitere Tiefen entwich, sei es, daß sich das Klima
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