Stiller
waren die roten Felsen erreicht, die ich seit Wochen stets am Horizont der Ebene gesehen hatte. Ich sprang von meinem schwarzen Pferd, band es an eine Eichenstaude und kraxelte etwas in die Höhe, verlockt von einem immer weiteren Blick über die endlose Ebene hinaus, die nun hinter mir lag, über einen grünlichen und silbergrauen Ozean von Land. Es war ein heißer sirrender Mittag, ich verdurstete fast. Ich suchte eine Quelle, jedoch vergeblich, denn die ganze Gegend bestand aus Karst, und plötzlich, wie ich so mit meinen Stiefeln durch das dürre und oft stachlige Gestrüpp stapfte, plötzlich stehe ich vor einem Schlund, vor einer Spalte im Fels, die ungefähr wie das Maul eines Hais aussah, aber sie war riesengroß und schwarz wie die Nacht. Noch keiner meiner Kameraden hatte je von dieser Grotte erzählt. Es war ein Zufall, daß ich ihre Pforte, die erst aus allernächster Nähe zu sehen ist, in dieser hügeligen Wildnis entdeckt hatte. Vielleicht gab es hier Wasser! Zwar war es totenstill, und ich werde nie vergessen, wie ich die ersten paar Schritte, nur um die Neugierde zu stillen, in den schattigen Schlund stieg, vorsichtig, indem ich mich an den letzten Stauden hielt, um mit gestrecktem Kopf in die klaffende Tiefe zu spähen, blind vor Finsternis. Niemand befahl mir, in diese Grotte zu steigen; trotzdem war ich sehr beklommen, und meine Entdeckung ließ mich nicht mehr los. Ein Stein untermeinem Stiefel hatte sich gelöst, kollerte in munteren Sprüngen hinunter, hallte und hallte immer ferner und hörte zu hallen nicht auf, bis ich, immerhin ein Cowboy, erbleichte. Ich wußte wirklich nicht, ob ich ihn nicht immer noch hörte, den kollernden Stein, oder bildete ich es mir nur noch ein? Ich konnte vor Bangnis kaum atmen, zwang mich jedoch, nicht die Flucht zu ergreifen. Ich hörte mein Herz hämmern, sonst Totenstille. Dann rief ich mit lauter Stimme: Hallo? und von sinnlosem Schrecken erfaßt, als wäre es nicht meine eigene Stimme, hastig, als wäre ich in Gefahr, von einem Drachen geschnappt zu werden, klomm ich zwischen den stachligen Sträuchern empor, vom Echo gejagt, und wieder hinauf an die Sonne, wo ich über mich lachte. Oder ich versuchte wenigstens, über mich zu lachen. Denn hier, an der mittäglichen Sonne, hörte man nur wieder das vertraute Summen der Insekten, das Getuschel der hohen Halme im Winde, und man sah über die Ebene von Texas, über jenen Ozean von Land, den ich damals alle Tage sah. Trotzdem blieb es mir etwas unheimlich, als hörte ich noch immer den kollernden Stein.
Es war Nacht, als ich unsere Ranch wieder erreichte. Ich rechtfertigte mich mit einer kecken Lüge. Von meiner Grotte sagte ich kein Wort, nicht einmal zu Jim, meinem besten Freund, der neben mir schlief; er zupfte an meiner Hängematte, um zu erfahren, wo ich nun wirklich den ganzen Tag gewesen wäre, und ich ließ ihn in seinem holden Neid, in seinem Glauben, daß ich irgendwo in jener fast menschenlosen Ebene (monatelang traf man nur Männer, Pferde und Vieh) ein freies Mädchen gefunden hätte. Jim gab mir einen Rippenstoß, Zeichen einer herzhaften Mitfreude und einer ebenso herzhaften Mißgunst zugleich. Aber meine Grotte, wie gesagt, verriet ich nicht.
Unsere Arbeit auf der Ranch war streng, wir waren nur wenige, einer von ihnen auch noch krank; zwei Wochen hatte ich auf meinen nächsten freien Tag zu warten.
Natürlich ritt ich schon im Morgengrauen (in einem großen Bogen, damit man mir nicht auf die Spur kam) wieder zu meiner Grotte, ausgerüstet mit einer Laterne, um in ihre Finsternis eindringen zu können, und war auf allerlei gefaßt, bloß nicht darauf, daß ich meine Grotte nicht wiederfinden würde. Bereits war es Nachmittag, als ich immer noch hügelauf und hügelab stapfte, vielleicht ganz in der Nähe der Pforte, vielleicht eine Meile daneben, denn allenthalben sah man die gleichen Hügel und Mulden, die gleichen Disteln, Kakteen, Agaven, dazwischen die verfluchten Staudender Gifteiche. Erschöpft und entmutigt, ohne die Grotte gefunden zu haben, ritt ich zurück, überzeugter denn je, daß diese Grotte einen märchenhaften Schatz verbarg, Gold vielleicht, von Spaniern erbeutet und verloren; waren nicht hier jene Abenteurer vorbeigezogen, Vasquez Coronado und Cabeza de Vaca? Das mindeste, was ich erwarten durfte, waren historische Werte, aber vielleicht auch Edelsteine der Indianer, der ganze Schatz eines ausgestorbenen Stammes. Auch bei klarer Vernunft schien allerlei möglich. Natürlich
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