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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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schamhaft wie eine Nonne in einer Oben-ohne-Bar, mit gekrümmtem Rücken hinhockte, um sein Geschäft zu machen. Während sie wartete, summte sie leise Jim Croces »Time in a Bottle« vor sich hin, was erfahrungsgemäß eine beruhigende Wirkung auf ihn hatte.
    In dem Moment, in dem sie die zweite Strophe anstimmte, lief ihr plötzlich ein kalter Schauer über den Rücken, der sie schlagartig verstummen ließ. Sie neigte normalerweise nicht zu Ängstlichkeit, aber als diese Eiseskälte ihr über das Rückgrat bis zum Nacken kroch, überfiel sie die Ahnung einer drohenden Gefahr.
    In der unbestimmten Erwartung, sich einem Angreifer oder einem außer Kontrolle geratenen Fahrzeug gegenüberzusehen, fuhr sie herum.
    Aber da war nichts, was sich ihr in mörderischer Absicht genähert hätte. Das Einzige, was für Bewegung sorgte, war der Wind, der an Bäumen und Sträuchern zerrte, ein paar vertrocknete braune Blätter über das Pflaster trieb und an den Lametta- und Lichtergirlanden rüttelte, die noch von Weihnachten an den Dachgesimsen der Häuser in der Nachbarschaft hingen.
    Martie kam sich, auch wenn das Gefühl des Unbehagens noch nicht ganz verflogen war, albern vor, und sie ließ den Atem, den sie angehalten hatte, entweichen. Das zischende Geräusch, das sie beim Ausatmen von sich gab, machte ihr bewusst, dass sie die Zähne krampfhaft zusammengebissen hatte.
    Wahrscheinlich steckte ihr der Traum noch in den Gliedern, der sie kurz nach Mitternacht geweckt hatte, derselbe, den sie nun schon ein paar Mal gehabt hatte. Von einem Mann, dessen Körper aus totem, verrottendem Laub bestand, einer albtraumhaften Gestalt, die wie rasend umherwirbelte.
    Dann fiel ihr Blick auf ihren lang gezogenen Schatten, der über den gepflegten Rasenstreifen verlief, die Bordsteinkante verdunkelte und sich in schrägem Winkel über die rissige Asphaltdecke der Straße reckte. Unerklärlicherweise steigerte sich ihr Unbehagen nun zu einem Gefühl der Angst.
    Sie wich erst einen, dann einen zweiten Schritt zurück, und ihr Schatten bewegte sich mit ihr. Erst beim dritten Schritt wurde ihr klar, dass dieser Schatten die Ursache ihrer Angst war.
    Lächerlich. Noch absurder als ihr Traum. Aber irgendetwas stimmte nicht mit ihrem Schatten: Er schien kantig, verzerrt, bedrohlich zu sein.
    Ihr Herz hämmerte wie Faustschläge an einer Tür.
    Auch Häuser und Bäume warfen im schräg einfallenden Licht der Morgensonne überlange Schatten, aber in deren gedehnten, unnatürlich verzerrten Umrissen konnte sie nichts Furchterregendes entdecken – nur in ihrem eigenen Schatten.
    Die Absurdität ihrer Furcht war ihr durchaus bewusst, aber das änderte nichts an ihrem Gefühl. Die Angst drohte sich in Panik zu verwandeln.
    Ihr Schatten schien zu pulsieren; es sah aus, als würde langsam und träge ein Herz in ihm schlagen. Der Anblick steigerte ihr Entsetzen ins Unerträgliche.
    Martie schloss die Augen und versuchte die Selbstbeherrschung wiederzugewinnen.
    Plötzlich fühlte sie sich völlig schwerelos, gleichsam als würde ein kräftiger Windstoß genügen, sie wegzufegen und mit der erbarmungslos näher rückenden Wolkenwand dem immer schmaler werdenden Streifen eines kalten blauen Himmels entgegenzutreiben. Doch nach ein paar tiefen Atemzügen spürte sie, wie das Gewicht in ihren Körper zurückkehrte.
    Als sie es endlich wagte, wieder einen vorsichtigen Blick auf ihren Schatten zu werfen, erschien ihr nichts Ungewöhnliches mehr daran. Sie stieß einen erleichterten Seufzer aus.
    Das Herz hämmerte immer noch, jetzt aber nicht mehr aus irrationaler Furcht, sondern aus der verständlichen Beunruhigung über den Grund dieses eigenartigen Zwischenfalls. Sie hatte so etwas noch nie erlebt.
    Mit schief gelegtem Kopf sah Valet sie fragend an.
    Seine Leine war ihr aus der Hand gefallen.
    Ihre Handflächen waren schweißnass. Sie trocknete sie an ihren Jeans ab.
    Als Martie merkte, dass der Hund sein Geschäft längst erledigt hatte, streifte sie sich eine Plastiktüte wie einen Handschuh über die Rechte, sammelte – ganz rücksichtsvolle Nachbarn – Valets Hinterlassenschaften ein, stülpte den leuchtend blauen Beutel um und verschloss ihn mit einem Doppelknoten.
    Der Retriever beobachtete sie mit einem Ausdruck der Verlegenheit.
    »Wenn du je an meiner Liebe zweifelst, mein Junge«, sagte Martie, »dann denk daran, dass ich das jeden Tag für dich tue.«
    Valet sah sie dankbar an. Vielleicht aber auch nur erleichtert.
    Die Alltäglichkeit dieser

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