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Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Titel: Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Brodie
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herab, und ich stieß mit den Füßen sofort gegen die Wand. Ich musste die Sprossen auf den Zehenspitzen hinuntersteigen, was besonders schwierig war, weil ich auch noch einen Eisbären trug. Schließlich konnte ich nicht ohne Sophie fliehen, die ich mir unter den rechten Arm geklemmt hatte. Also stieg ich ganz langsam hinunter. Zweimal rutschte ich trotzdem ab. Aber ich konnte mich jedes Mal festhalten. Hinunter, immer weiter hinunter, bis in unsere Rhododendronbüsche hinein, hinter deren dichte Blätter ich mich kauerte, bis ich sicher war, dass die Studenten nicht kamen.
    Mom hatte mir eingeschärft, dass ich unter der größten Pappel auf sie warten sollte. Das war unser Treffpunkt für den Fall eines Brands. Aber ich wusste, dass sie nicht kommen würde. Ich musste mich weit weg vom Haus verstecken. Der Wald lag etwa dreißig Meter entfernt zu meiner Linken, schwarz und schrecklich, aber nicht so schrecklich wie dieser Fremde, der sich in unseren Hausflur hineingedrängt hatte. Um die schützenden Bäume zu erreichen, musste ich über offenes Wiesengelände laufen, und wenn die Studenten sich umdrehten, würden sie mich in meinem weißen Nachthemdsehen. Doch ich durfte nicht mehr allzu lange hinter den Rhododendronbüschen hocken bleiben, denn dort würden sie mich auf jeden Fall finden.
    Sophie an die Brust gedrückt, schlich ich vorsichtig im Schatten des Hauses an der Wand entlang, und als ich einen Blick um die Hausecke riskierte, sah ich im Verandalicht zwei der Studenten immer noch vor dem Haus stehen. Aber ihre Aufmerksamkeit war zu sehr gefesselt, als dass sie sich nach mir umgedreht hätten. Der Junge stand vor unserer Haustür, den Blick starr in den Flur gerichtet, und das Mädchen   … das Mädchen hockte auf den Knien und erbrach sich ins Gras. Zuerst dachte ich, es wäre der Anblick des vielen Blutes, von dem ihr so übel war. Aber inzwischen glaube ich, dass es das Bier war   – das Bier und das Blut und die Furcht.
    Da die beiden so abgelenkt waren, sauste ich auf die Bäume zu, hoffte, dass sie den weißen Blitz, der da durch die Dunkelheit schoss, nicht sehen würden. Das Gras war feucht und kalt, und manchmal trat ich auf etwas Hartes, aber ich weinte nicht. Ich verschwand einfach stumm wie ein Komet in der Nacht.«

2
    »Und wie ging es dann weiter?«
    Maggie öffnete die Augen und setzte sich auf, erschreckt von der tiefen männlichen Stimme. Normalerweise sprach der Arzt so leise, dass sie sich einfach zurücklehnen, die Augen schließen und in ihre Erinnerungen abtauchen konnte, während sie redete und immer weiter redete von »dem weißen Blitz   …«, »dem schwarzen Wald   …«, »den blutigen Wänden   …«. Das Blut schien dem Arzt besonders zu gefallen   – er fragte sie immer wieder danach   –, und deshalb betonte Maggie diesen Aspekt.
    Sie musste wohl am Einschlafen gewesen sein, denn sonst hätte er sie nicht unterbrochen. Maggie wurde am Nachmittag oft schläfrig, und diese Couch war so bequem mit ihrem weichen Wildlederbezug und den dicken Kissen. Sie fuhr mit den Fingern gegen den Strich über den Bezug und hinterließ vier braune Streifen, dann sank sie, wie so oft, wieder zurück an die Lehne. Wie gern würde ich meine Beine hier auf diesem Wildleder ausstrecken, dachte sie, mich auf die Seite rollen und einfach stundenlang schlafen. Das wäre überhaupt die beste Therapie von allen: sich jeden Nachmittag in die Praxis des Arztes zurückziehen und schlafen. Irgendwo hatte sie mal gelesen, dass gerade Teenager besonders viel Zeit zum Dösen brauchten, denn sie waren wie schwangere Frauen, in denen neues Leben heranreifte.
    Maggie hatte in den letzten Wochen nicht gut geschlafen. Ihre Träume waren wiedergekehrt; dabei hatte sie gedacht, sie hätte sie schon vor Jahren hinter sich gelassen. Dochnun kamen sie erneut jede Nacht zurück, voll verworrener Fragmente: die Studenten, ihre Mutter, die Dunkelheit des Waldes. Damals mit fünf hatten sie jede Nacht regelmäßig schreckliche Albträume geplagt, in denen die immer gleichen Szenen, Wortfetzen und Farben auftauchten. Die erste Reaktion ihres Vaters war, einen Traumfänger zu kaufen, den er unter den rosa Baldachin ihres Bettes hängte mit den Worten: »Der wird die bösen Träume einfangen und dir die guten lassen.« Diese Vorstellung hatte Maggie so gut gefallen, dass sie sogar jetzt noch Traumfänger-Ohrringe mit kleinen Federn daran trug, die zu ihren langen rotbraunen Haaren passten und ihr bei jeder

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