Stimmen
stimmte. Irgendetwas befand sich ganz in seiner Nähe – und es war gefährlich.
Die rote Diode, Teil einer offenen Schalttafel für die Alarmanlagen, die rechts von der Treppe in die Wand eingelassen war, leuchtete jetzt stetig.
Peter schloss die Eingangstür und verriegelte sie. »Ich bin weder verrückt noch übersinnlich begabt«, erklärte er laut, als könnten ihm die Worte irgendwie als Schutzschild gegen nicht anzufechtende Gegebenheiten dienen. Denn ebenso klar war, dass er sich nicht allein in diesem Raum befand, auch wenn er nicht sehen konnte, wer oder was ihm Gesellschaft leistete. Was es auch sein mochte: Es war riesengroß, mindestens so groß wie ein Bär, falls Größe hier irgendetwas bedeutete. Und genau wie die dunklen schlangenförmigen Spiralen im Flur seines Hauses in Glendale beobachtete es ihn, lauerte. Erwartungsvoll.
»Schschsch, mach, dass du wegkommst«, rief er, um sich gleich darauf stromschlagartig an gewisse Normen sozialen Verhaltens zu erinnern. Schließlich war es das Haus eines Freundes und Arbeitgebers, in dem er wie blöde herumbrüllte und sich wie ein verängstigtes Kind aufführte. Mit größter Mühe schaffte er es, sich von der Wand wegzubewegen.
Leise knirschend tappten seine Schuhe über die Steinfliesen, ohne dass die Schritte widerhallten – und das war im Flaubert-Haus merkwürdig. Stets hatte er im Eingang Echos vernommen, außer bei den seltenen Gelegenheiten, wenn Joseph und Michelle eine Party veranstalteten. Der riesige Raum wirkte so voll, als ob sich eine unsichtbare Menschenmenge um die Treppe drängte. Hastig ging er weiter und unterdrückte dabei den Drang, die Hände auszustrecken und Körper abzuwehren, Menschen, die er nicht sehen konnte. Dennoch spürte er nichts.
Als Nächstes inspizierte er die Schalttafel für die Alarmanlagen. Ein Knopfdruck genügte, um die Bewegungsmelder einzuschalten. Falls sich irgendwo im Haus ein Eindringling rührte, würden dort, aktiviert von den Sensoren, sofort Lampen aufflammen. Danach durchsuchte er einen Raum nach dem anderen, erst im Nordflügel, dann im Südflügel. Seine Schritte sorgten dafür, dass die hellen Deckenleuchten in den Fluren aufstrahlten und wieder erloschen, sobald er sie passierte.
Als er zehn Minuten später in der Küche stand, wusste er mit Sicherheit, dass sich niemand im Erdgeschoss aufhielt – jedenfalls nicht Joseph, Michelle oder irgendein Eindringling aus Fleisch und Blut. Auf dem Rückweg zum Eingang kam er an der offenen Fahrstuhltür vorbei und musterte sie hastig mit unglücklichem Blick. Joseph benutzte den Fahrstuhl, um ins Obergeschoss zu gelangen, aber Peter hatte das nie getan, sondern lieber die Treppe genommen. Fahrstühle mochte er sowieso nicht, und dieser war dazu noch klein, er bot nur Platz für zwei Personen. Er hielt auch im Keller, vor dem Zugtunnel, der das Flaubert-Haus und Jesus weinte miteinander verband. Schon vor Jahren hatte Joseph Peter versprochen, ihm dort unten alles zu zeigen, später jedoch behauptet, der Tunnel sei durch dort gelagerten Trödel versperrt, und außerdem stinke er immer noch nach Rauch.
Auch dies war nur eine von Lordy Trentons exzentrischen Spielereien, ein weiterer Teil der Geschichte dieses Anwesens, der nie genutzt wurde. Den Fahrstuhlknopf KELLER hatte Michelle schon vor längerer Zeit mit Band überklebt. »Da unten ist es wie in einer Katakombe«, hatte sie Peter erzählt.
Er stieg die Treppe hoch und warf, als er den Absatz erreicht hatte, einen Blick über die Schulter zurück. Irgendetwas folgte ihm. Er konnte spüren, wie es ihn mit neugierigen, unsichtbaren Augen beobachtete, fühlte, dass etwas Riesiges gegenwärtig war, das weder Gewicht noch Masse besaß. Seine Härchen auf den Armen stellten sich so steil auf wie Borsten.
»Schuu«, machte Peter, um es zu verscheuchen. Du bist mein Tod. Du wirst mich packen und mich schütteln wie ein großer Flusswels, der einen Klumpen Aas verschlingt. Wirst mich hin und her schleudern und durchkauen und noch ein bisschen durchschütteln, bis ich nur noch ein leerer Hautsack bin.
Er schauderte und stöhnte, so dass er kaum noch Luft bekam. Manchmal war eine rege Fantasie wirklich ein Fluch.
Was immer gegenwärtig sein mochte, es hatte am Fuß der Treppe angehalten und lauerte dort gelassen und voller Erwartung. Es wollte irgendetwas – so viel konnte er spüren. Aber falls es ihn wollte, war er ja da, so einsam und verletzlich, wie man nur sein konnte, und trotzdem passierte
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