Stimmen
erscheinen.
»Joseph, Sie Mistkerl, was, um Gottes willen, haben Sie getan?«, fragte Peter. »Wo ist Michelle?«
Josephs Hände, die am Rand der Armlehnen ruhten, rührten sich nicht.
»Was… Haben Sie etwa geschlafen?«
»Ich werde nie wieder schlafen«, erwiderte Joseph. »Ich fühle mich nicht gut, Peter.«
Peter konnte seine Worte nur mit Mühe verstehen. »Wo ist Michelle?«
»Weiß ich nicht. Hören Sie zu.«
»Soll ich einen Arzt rufen?«
»Seien Sie einfach still. Hören Sie zu.«
Die Hände zu Fäusten geballt, trat Peter einen Schritt vor. »Sie müssen mir wirklich einiges erklären. Ich habe…«
»Nicht«, unterbrach ihn Joseph.
Peter blieb stehen. Irgendetwas in der Stimme… Er konnte die Waffe nicht sehen, aber vielleicht war sie trotzdem da, in den Falten des Bademantels verborgen. Wie immer hatte Joseph die Situation im Griff. »Wie lange sitzen Sie schon hier?«
»Zeit ist Schall und Rauch. Ich kann hier noch nicht weg. Das hier ist für Sie bestimmt, Peter, hören Sie also genau zu. Es ist die einzige Erklärung, die ich geben kann. – Unmittelbar nachdem ich Michelle kennen gelernt habe, tauchte hier eine Frau, mit der ich mal was hatte, mit ihrem schrägen Freund auf, um Geld aus mir herauszuprügeln. Ich hab sie beide erschossen, genau an der Stelle, wo Sie jetzt stehen.«
»Mein Gott.«
»Sie liegen unten im Tunnel. Michelle hat mir geholfen, sie unter den Schienen zu vergraben. Sie hat mir auch dabei geholfen, Beton über die Grube zu schütten. Eine gute Frau, habe ich gedacht. Steht zu mir. Tut das, worum ich sie bitte. Aber ich nehme an, dass sie daran zerbrochen ist. An Geist und Seele zerbrochen. Irgendetwas habe ich damit bei ihr ausgelöst, Gott sei mir gnädig.«
Peter lehnte sich gegen die Tür. Zwar war er immer noch krank vor Wut und völlig durcheinander, aber die Angst war seltsamerweise weg. Er hob den Blick: Knapp unter der Zimmerdecke tanzten silberne Stäubchen und aalgleiche Formen auf und ab.
»Bis vor ein paar Tagen war ich mir nicht sicher, obwohl ich es hätte erraten können… Aber ich wollte es gar nicht wissen.« Josephs Stimme klang jetzt so leise wie der Hauch eines Schilfrohrs, war nicht einmal ein Flüstern. »Sie ist zu einem leeren Gefäß geworden. Schon seit langem haben in Salammbo bestimmte Dinge auf jemanden wie Michelle gewartet. Inzwischen haben sie sich hier breit gemacht und amüsieren sich wirklich prächtig.«
Peters Kehle schmerzte. Als er seinen Kehlkopf berührte, spürte er, dass seine Stimmbänder vibrierten. Es war gar nicht Joseph, der sprach.
Er selbst war es.
»Ich frage mich, wer diese Person eigentlich war, die ich geliebt habe. Vielleicht ist noch ein kleiner Teil von ihr übrig«, fuhr die Stimme fort – Josephs Stimme, die aus Peters Mund drang. »Wie hätte sie sich sonst so glaubwürdig und liebevoll verhalten können? Sie muss wohl die meisten von ihnen in den Tunnel gebracht haben. Seit einigen Tagen kehren sie zurück. Es tut mir Leid, Peter. Der Hinweis war wirklich miserabel. Ich habe Sie nämlich gewarnt: Haben Sie ein Auge auf Michelle. Kümmern Sie sich um Michelle.«
Die darauf folgende Stille schlug Peter, der einfach nur dastand, mehr und mehr in Bann. Sein Kehlkopf lockerte sich. Er versuchte, Atem zu holen. Seitdem er das Zimmer betreten hatte, war ihm nicht aufgefallen, dass Joseph sich irgendwann gerührt hätte.
Das Funkeln an der Zimmerdecke verstärkte sich, um gleich darauf zu verschwinden.
In Wirbeln huschte etwas Düsteres über seinen Kopf hinweg. Das Geräusch klang so, als bauschte der Wind die Gardinen. Schschsch.
Der Schrei, der aus seiner Kehle drang, klang jämmerlich, zitterig. Er pinkelte sich vor Angst in die Hosen, wie es wohl jedem gegangen wäre. Aber er machte die Tür nicht auf, rannte nicht auf und davon. Stattdessen griff er hinter sich und machte Licht. Um die Schatten zu verscheuchen. So sinnlos das auch sein mochte, es war der letzte Liebesdienst, den er einem Freund schuldete.
In Wellen, die dem Auge wehtaten, ergoss sich das Licht nach und nach über das ganze Zimmer. Die vorrückende Front von Helligkeit erreichte den Umkreis von Josephs Beinen und stieg an ihnen hoch, erfasste seinen Schlafanzug, seinen Rumpf und schließlich den Kopf, wo das Licht kurz flackerte, als wäre es auf irgendeinen zähen Widerstand gestoßen.
Jetzt war Joseph Peters Blick preisgegeben. Sein Kopf baumelte nach vorn. Unter seinem Kinn steckte ein zusammengerolltes Gesichtshandtuch, auf
Weitere Kostenlose Bücher