Stimmen
Stimme, fast ehrerbietig: »Was sehen Sie, Mr. Russell?«
»Gespenster. Und ich bin nicht der Einzige. Ich dachte, ich wäre es, aber das stimmt nicht.«
»Natürlich nicht.«
»Jeder, der ein Trans besitzt, sieht Dinge.«
»Ist nicht gut.« Kreislers Stimme war fast ein Flüstern.
»Sie haben uns erzählt, dass Trans den Raum verändert«, sagte Peter. »Es hat mit der Dielektrizitätskonstante und der Entladung von Information zu tun, so viel weiß ich noch. Lässt sich das rückgängig machen? Können wir alles abschalten und den früheren Zustand wiederherstellen?«
»Weinstein wird uns Netz nicht abschalten lassen. Inzwischen ist da so viel Geld im Spiel. Trotzdem versuche ich es, aber ich kann nicht zum Mittelpunkt vordringen, zum Transponder. Da drinnen ist es sehr schlimm.«
»Ich muss es wissen. Wenn ich meine Apparate zerstöre und Sie das Netz abschalten, wird es dann wie früher sein?«
Kreisler nahm sich einen Moment Zeit für die Antwort. »Hab nachgedacht. Hab keine Ahnung, Scheiße noch mal. Handelt sich um alte Erinnerungen und Persönlichkeiten, regelwidrig kodierte Information. Wir haben nicht begriffen, wie beharrlich solche Information ist, nicht in unseren kühnsten Theorien. Ist im Raum eingebettet wie hineingeschnitzt, wie Graffiti. Aber wenn Leben vorbei ist, muss Information zerfallen – sagt die Mathematik –, so als ob ungelesene Bücher in Bibliothek verbrennen und sich Asche zerstreut. Ich glaube, Trans verhindert das. Der normale Zerfall wird blockiert. Alte Bibliothek brennt nicht, Asche zerstreut sich nicht. Und alte Erinnerungen scheinen böse Dinge anzuziehen.«
»Edward Schelling sagte so was Ähnliches«, bemerkte Peter.
»Kenne ihn nicht«, erwiderte Kreisler. »Ist er Physiker?«
»Nein, ein sehr alter, weiser Mann.«
Kreislers Stimme wurde wieder normal und verriet Entschlossenheit. »Ich werde Weinstein finden. Sie sollten sehen, was hier vor sich geht… wirklich unbeschreiblich.«
»Hatten Sie irgendeinen Verdacht, dass Trans außer Kontrolle geraten könnte, dass so etwas passieren könnte?«, fragte Peter.
»Nein, das schwöre ich. Ich bin kein gläubiger Mensch, ich bin Erfinder und Wissenschaftler. Hab immer gedacht, Gespenster sind Fantasieprodukte langer Nächte und allzu intensiver Arbeit. Sie kennen ja den ganzen Quatsch. Hätte nicht im Entferntesten an so was gedacht, wie es hier geschieht.«
»Ich habe alle Trans-Apparate, die ich besitze, zertrümmert«, sagte Peter. »Ich weiß nicht, ob das ausreicht. Was passiert, falls man das Netz nicht abschalten kann?«
»Sagen Sie es mir, Sie sind doch Schriftsteller mit Fantasie. Was kann schlimmstenfalls passieren? Vielleicht es geht immer so weiter und wir müssen auf ewig damit leben – und sterben. Aber ich tue mein Bestes, auch das schwöre ich Ihnen. Vielleicht, Herr Künstler, Herr Kollege Schriftsteller, können Sie herkommen und helfen.« Er lachte, bitter und völlig fertig mit den Nerven, und legte auf.
Kreislers Worte waren ein Stachel in seinem Fleisch. Peter war kein Feigling, aber er musste die Sache erst einmal genauer durchdenken, um an der richtigen Stelle anzusetzen. Über den nassen Asphalt ging er zum Porsche hinüber, den er auf dem Parkplatz des kleinen Lebensmittelmarktes abgestellt hatte, und blieb einige Minuten im Wagen sitzen. Die Lichter im Laden wurden abgedunkelt, ein Vorhang vor die Tür gezogen. Das rote Neonzeichen an der Fassade ging mit einem letzten Blinken aus, aber die Röhren blitzten auch weiterhin ruckartig mit schwächerem Licht auf und zeichneten die Konturen der kursiven Schrift nach.
Wie gebannt sah Peter zu.
Dann drehte er den Schlüssel herum.
Die wichtigsten Dinge zuerst.
Die Familie.
Kapitel 39
Peter kurbelte das Fenster herunter und gab auf der kleinen Tafel vor dem großen schmiedeeisernen Tor den Nummerncode ein. Das Tor ging mit vorwurfsvollem Gekreische auf und federte zurück, als es ganz offen stand. Er fuhr vorwärts, hielt an und sah zu, wie das Tor hinter ihm wieder zuschwang.
Das unstete, teilweise von Wolken verhüllte Licht des Mondes erhellte die Straße, die durch Salammbo führte. In einem großen V erstreckte sie sich rechts bis zu El Cid und der langen düsteren Hecke und linker Hand bis zum Flaubert-Haus. Jesus weinte konnte er von diesem Punkt aus nicht sehen. Er warf einen Blick auf die Armbanduhr: halb zwei Uhr morgens. Du darfst dir keinen Schlaf mehr gönnen.
Auf der lang gestreckten dunklen Straße kam ihm der
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