Stimmen
wirbelten durchs Zimmer und stürzten sich auf sie, wie sie es seit Anbeginn des Lebens, in der endlosen Dunkelheit, getan hatten.
Sie fraßen, sorgten für die Läuterung.
Alles war jetzt unwiderruflich vorbei: die Sommer, die sie miteinander verbracht hatten. Die Tage am Pier von Santa Monica. Der Ausflug nach Julian, wo sie sich Apfelkuchen und Apfelsaft gekauft hatten. Die Fahrt mit der kleinen Bahn durch den Wildtierpark im ländlichen Kalifornien, bei der sie den Geruch brünstiger Löwen geschnuppert hatten, die faul in der Sonne herumgelegen hatten…
Der Tag, an dem sie sich in Sherman Oaks bei Helens alter Freundin Paulette ein Kätzchen aus dem Wurf winziger, zappelnder Stubentiger hatten aussuchen dürfen. Wie Daniella das Gesicht verzogen hatte, als das Kätzchen sie voll gepinkelt hatte…
Die Abende, an denen Peter den Mädchen vor dem Schlafengehen aus Der Hobbit vorgelesen hatte…
Der Geruch, den er im Haar seiner Tochter geschnuppert hatte, als sie mit fünf Jahren auf einer Reise in seinem Schoß eingeschlafen war. Sie waren unterwegs nach Phoenix gewesen, um die Großmutter zu besuchen…
Der Tag, an dem sie zusammen mit ihrer Schwester zum ersten Mal Eis in einem Baskin-Robbins-Laden gegessen hatte. Er wusste noch, wie sie erst ganz erstaunt ausgesehen und dann losgeheult hatte, als die Kälte zu den neuen Zähnchen vorgedrungen war.
Wie sie Hausaufgaben von der Schule mitgebracht hatte und sich so angestrengt hatte, um sie noch rechtzeitig fertig zu bekommen.
Wie sie zum Markt an der Ecke gelaufen war, um sich ein Fruchtmixgetränk zu kaufen.
Gefragt hatte, warum Jungs so anders sind.
Erinnerungen sind zäh.
Peter nahm Lindsey in die Arme und hielt ihr die Augen zu. Aber er selbst sah zu, weil es sein musste. Es war seine ganz persönliche Art, sich endgültig von ihr zu verabschieden, ihr zu zeigen, dass er sie liebte, und sich bei ihr zu bedanken. Das gebot schon die Hochachtung vor einem tapferen jungen Mädchen, das hier so lange – allzu lange – ausgeharrt hatte, um seinen Vater und die ganze Familie zu beschützen.
•
Ruhe.
Stille.
Das Zimmer hatte sich nicht verändert.
Peter hörte, wie die Soleri-Glocke auf der Veranda leise und traurig bimmelte. Lindsey schob seine Hände weg, blickte zur Seite und sagte: »Du meine Güte.«
Es war vorbei.
Was eigentlich geschehen war, würden sie niemals ganz erklären oder begreifen können.
Als Lindsey zu schluchzen anfing, ließ Peter sie los, und sie weinten gemeinsam.
Kapitel 48
Lindsey wusch sich das Gesicht und sah wieder recht präsentabel aus, als Helen klopfte, genauer gesagt mit der Faust gegen die Tür hämmerte. Sie war blass und wollte zu beiden nicht viel sagen, bedachte Peter jedoch mit finsteren Blicken. Lindsey blieb neben ihr stehen und wirkte dabei wie eine kleinere, schlankere Ausgabe ihrer Mutter, nur hatte sie Peters Augen und die weichen, glatten Haare seiner Mutter.
Als Helen von einem zum anderen sah und den Frieden der Erschöpfung spürte, den sie beide miteinander teilten, zogen sich ihre Augenbrauen zusammen. Den Blick auf Peter gerichtet, holte sie tief Luft. »Ich hab immer wieder angerufen, aber die ganze Welt geht zum Teufel. Ich weiß überhaupt nicht, was los ist, und dann verschwindet Lindsey auch noch. Ich bin vor Angst fast umgekommen.«
»Das tut mir Leid«, sagte Lindsey.
»Was geht hier vor? Was, zum Teufel, habt ihr beide getan?«
»Lindsey wird’s dir erklären«, erwiderte Peter. »Mir würdest du ja doch nicht glauben.«
Gleich darauf bemerkte Helen die Wunden an seinem Hals. »Mein Gott«, sagte sie, »hast du dir das in Salammbo geholt? Das wusste ich doch. Ich hätte hier sein müssen. Und du, Lindsey, hättest…«
»Wir sind gesund und munter«, fiel ihr Lindsey ins Wort. »Es ist vorbei, Mom.«
»Nicht ganz«, sagte Peter. »Ich muss ein paar Tage fort. Wenn ich zurück bin, werde ich jede Frage beantworten. Aber im Augenblick brauche ich ein bisschen Ruhe, ich fühle mich nicht besonders.« Sein Magen rumorte so heftig, dass er fürchtete, sich übergeben zu müssen. »Einverstanden?«
Helen sah so traurig und verloren aus, dass Peter beide Hände nach ihr ausstreckte und sie fest drückte. Sie zitterte wie ein verängstigtes Fohlen und ließ sich überraschend leicht und ohne jeden Widerstand von ihm umarmen.
Noch verblüffender fand er, wie gut es ihm selbst tat, diese schwache und zitternde – aber warme und lebendige – Helen zu
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