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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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nicht einmal fünfzig Lebensjahren, wie Peter irgendwo gelesen hatte: Stress.
    Das Gefängnis war wieder auferstanden. Aber ohne Gefangene; nur die Wärter waren zurückgekehrt. Und er selbst.
    Die Fußböden waren mit einer bläulichen Staubschicht überzogen. Peter bemühte sich, nicht zu Boden zu blicken, denn wenn er es tat, wich der Staub zurück, warf träge Wellen auf und nahm die Farben von Blut und Eiter an.
    Er versuchte sich an den Weg zu erinnern, was nicht leicht war. Und niemand wollte ihm helfen.

 
Kapitel 50
     
    Peter fand Arpad Kreisler im Todestrakt, wo er mit erschöpfter Miene, die breiten Schultern eingezogen, vor der Gaskammer stand. Sein Drei-Tage-Flaum hatte sich im Laufe von ein, zwei Wochen zu einem richtigen Stoppelbart ausgewachsen. In dem alten Gefängniskomplex war er der Einzige, der so aussah, als wünschte er sich verzweifelt sonst wohin.
    »Haben Sie das laufende Modell zum Teufel geschickt?«, fragte Peter. Da Arpad nicht reagierte, fasste Peter ihn am Arm, was sofort Wirkung tat: Die Knie des großen Mannes knickten ein, so dass er zur Seite fiel und gegen ein breites, gesichertes Fenster knallte. Bestürzt zog Arpad die buschigen Augenbrauen hoch und konzentrierte den Blick auf eine Stelle rechts von Peter, während er vor Entsetzen nach Luft rang. »Bist du ein Wärter?«, fragte er. Und gleich darauf, nach links blickend: »Wer bist du?«
    »Sie werden hier doch alles schließen, nicht?«, fragte Peter. Schon das Reden kostete ihn die ganze Kraft. Nach dem Unfall war er nicht mehr derselbe. Seine Batterien waren nahezu erschöpft.
    Arpads Stirn furchte sich vor Konzentration. Offenbar hatte sich Peter nicht verständlich machen können, denn Arpad reagierte nicht. Peter hätte ihn erwürgen können.
    »Wo ist Weinstein?«, fragte er und streckte die Hand aus, um Arpad leicht auf den Kopf zu schlagen. Arpad schwenkte wie ein betrunkener Preisboxer herum, aber immerhin bewegten sich seine Lippen jetzt. »Weinstein«, wiederholte er, und sein Adamsapfel hüpfte dabei auf und ab. »Weinstein ist fort. Wärter haben ihn gestern geschnappt und hierher gebracht. In Gaskammer gesteckt. Seitdem hab ich ihn nicht mehr gesehen. Wer bist du?«
    Peter hatte herausgefunden, wie er sich verständlich machen konnte: Er strich über Arpads Kehlkopf.
    Unwillkürlich begannen sich dessen Lippen zu bewegen. »Peter«, sagte er. Als er ihn erkannte, bleckte er wie ein Affe die Zähne, während sich seine Augen zu Schlitzen verengten. »Peter Russell… Sind Sie das? Mein Gott, was ist passiert? Sind Sie…?«
    Arpad gefiel Peters Aussehen ganz und gar nicht. Schwer zu akzeptieren, aber es war nicht zu verkennen. Konnte nur daran liegen, dass er aufgrund des Unfalls so kaputt und zerschlagen aussah. Er musste Stunden oder auch Tage im Krankenhaus verbracht haben, ohne dass er sich an irgendetwas erinnerte. Spielte ja auch keine Rolle.
    Als Arpad zurückzuweichen versuchte, begann Peter an diesem kleinen Katz-und-Maus-Spiel Gefallen zu finden.
    »Sie sollten von hier verschwinden«, warnte Arpad. »Es sind nur noch Wärter hier. Gefangene sind fort, sobald gestorben, aber Wärter kehren zurück. Hängen hier fest. Verrückt, wie?«
    Peter brachte Arpad erneut zum Sprechen. »Schließen Sie das alles«, artikulierten die Lippen, worauf Arpad heftig nickte. »Auf jeden Fall. Sobald ich da reinkommen kann…« Er deutete auf die Gaskammer. »Wirklich widerlich. Idiotische Idee, Transponder dort aufzubauen, stimmt’s? Schwachsinnige Ausgeburt von Schülerhirn. Nichts als dümmliche Arroganz, Sie wissen schon.«
    Allmählich bekam Peter den Dreh heraus. Durch Arpads Gegenwart fühlte er sich nicht mehr ganz so erschöpft. Er hatte ihn immer gemocht. Und das Gefühl gehabt, dass Arpad die Sympathie erwiderte. Der große Ingenieur konnte ihn inzwischen recht genau orten, wobei er die Stirn so heftig runzelte, dass die Brauen die Augen fast verdeckten.
    Ruckartig verlagerte sich Peters Blickwinkel.
    »Die Wärter lassen mich hier nicht mehr raus«, sagte Arpad in die Richtung gewandt, in der Peter eben noch gestanden hatte. »Die meisten unserer Angestellten sind vor ein paar Tagen davongelaufen, als es unerträglich wurde. Inzwischen sind alte Wachen überall, Tausende von ihnen. Können Sie mit denen sprechen – sie überreden, mich gehen zu lassen?«
    Peter konnte sich vorstellen – vielleicht sah er es auch wirklich –, wie die Wärter die vorsintflutlichen Gänge des riesigen alten Gefängnisses

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