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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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umarmen.
    »Ihr lasst mich alle beide außen vor, das hab ich nicht verdient«, schluchzte sie an seiner Schulter. »Ich möchte euch doch helfen. Ich hätte hier sein müssen, hier bei euch, aber niemand hat mich eingeweiht. Bitte schließt mich nicht aus.«
    Peter, der immer noch ihren Rücken umfasste, blickte ihr forschend ins Gesicht. Zwar freute er sich über diesen Umschwung, genoss ihn jedoch nicht in vollen Zügen, da er den menschlichen Wankelmut nur allzu gut kannte. »Verdient hat das hier keiner von uns«, sagte er. »Und du am allerwenigsten.«
    »Könnten wir uns nicht alle ein bisschen mehr Mühe geben? Könnten wir das tatsächlich schaffen?«, fragte Helen.
    Peter nickte und ließ sie los, um Lindsey ein letztes Mal zu umarmen.
    Der Abschied zog sich lange hin und war ein bisschen peinlich, weil so viele Wunden erst noch heilen mussten und die Zeit so knapp war. Sie reichte nicht, um all die Jahre wieder gutzumachen. Inzwischen war es Mitternacht. Während Lindsey hinter Helen über die Veranda und die Auffahrt hinaufging, winkte sie ihm zu. Sie winkte ihm mit der kindlichen Gewissheit zu, dass alles Schlimme ausgestanden war, sie ihren Vater bald wieder sehen und es bergauf gehen würde. Nichts konnte diesen Lebensfunken, diesen glühenden Optimismus, zum Verlöschen bringen.
    Nicht einmal die Tatsache, dass sie soeben die Seele ihrer Schwester ins Jenseits geschickt hatte und Zeugin des schrecklichen Nachspiels geworden war.
    Peter lächelte und winkte zurück.
     
    •
     
    Während er sich in die Küche setzte und ein Glas Eistee trank, war vom Windspiel auf der hinteren Veranda nichts mehr zu hören. In dieser warmen Nacht regte sich kein Lüftchen.
    Um ein Uhr morgens packte er einen kleinen Koffer. Danach ging er in die Garage, um den Ölstand des Porsches zu überprüfen. Irgendwo unterwegs würde er tanken müssen.
    Als er ins Schlafzimmer zurückkehrte, um den Koffer zu holen, sah er, dass jemand in seinem Bett lag und schlief. Die Gestalt wälzte sich herum und zog sich die Bettdecke vom fahlen bärtigen Gesicht, so dass die lustigen, vom Schlaf verquollenen Augen und die Lücke zwischen den Schneidezähnen zu erkennen waren. Der Kopf war so transparent, dass Peter das darunterliegende Kissen sehen konnte.
    Der Mann im Bett setzte eine ebenso ungehaltene wie gelangweilte Miene auf. »Ihr Leute habt wirklich was fürs Fußende übrig, wie?«, fragte er. »Und es macht euch anscheinend Spaß, uns zu beobachten. Warum?«
    Peter stieß den Koffer um, der hinter ihm stand, und schwankte leicht, bis er sein Gleichgewicht wieder gefunden hatte.
    Das Bett war leer. Die Schlinge um ihn hatte sich zusammengezogen. Es würde ihm nur noch wenig Zeit bleiben.
    Zu dieser Erkenntnis brauchte er keine Sandaji.
     
    •
     
    In der Atmosphäre, die ihn persönlich umgab, hatte sich etwas verändert. Als er die Hügel von Glendale und später auch Los Angeles hinter sich ließ und in den dunklen, frühen Morgenstunden durch die Weinberge fuhr, sah er die Welt mit anderen Augen.
    Der Porsche fuhr bemerkenswert schnell. Gelegentlich war Peter sich kaum noch bewusst, dass er selbst ihn lenkte. Aufgrund der Erschöpfung hatte eine unbestimmte düstere Gelassenheit von ihm Besitz ergriffen; all seine Empfindungen, größtenteils auch seine Gedanken hatte er vorerst auf Eis gelegt. Trotzdem konnte er jetzt nicht irgendwo anhalten. Es lag noch eine weite Strecke vor ihm. Und eine letzte Angelegenheit, die er hinter sich bringen musste, wenn er je wieder Schlaf finden wollte.
    Kleine Fische sind die Vorboten von Haien. Aber angesichts der unermesslichen Tiefe, die ihn umgab, waren die Haie womöglich die Vorboten weit größerer Schrecken.
     
    •
     
    Während er kurz vor Sonnenaufgang mit heruntergekurbelten Fenstern das ausgedorrte Ackerland von Central Valley durchquerte, den Duft von Wiesen, Wind und Erde in der Nase, blickte er zwischen dem Sternenhimmel und der schnurgeraden schwarzen Straße hin und her. In stetem Rhythmus flogen die weißen Markierungen der Mittellinie an ihm vorbei. Über den sanft gerundeten Hügelkuppen im Osten flackerten in regelmäßigen Abständen die Blitze eines Wärmegewitters auf, ohne dass Donner zu hören war. Als die Blitze ein dunkles Rot annahmen, sah es so aus, als stünde der ganze Himmel in Flammen und hätte sich aufgebläht.
    Schatten, so groß wie Sturmwolken, legten sich über die Sterne und warfen ihre dunklen Ausläufer in Talsenken ab. Die Schatten wanderten

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