Stimmen
Erinnerungen lauerte, sich ihm aber immer wieder entzog. Und natürlich war sie unverschämt sexy.
Peter war bislang nur einer einzigen Frau begegnet, die in etwa an dieses ziemlich hoch gesteckte Ideal heranreichte: Sascha Lauten. Sie hatte als Model und gelegentlich auch als Schauspielerin gearbeitet. Sascha war üppig und sexy, klug, fröhlich und verständnisvoll gewesen – und dennoch so verletzlich und traurig über das eigene Leben, dass er sofort dahingeschmolzen war. Phil hatte ihn vor Sascha gewarnt: »Sie durchschaut dich«, hatte er gesagt. »Deine Reize halten ihren enormen Brüsten nicht stand.« Schließlich hatte Sascha seinen Heiratsantrag abgelehnt und einen Geschäftsmann mit flachem Hintern und Hautproblemen geehelicht. Inzwischen wohnten sie in Compton und führten ein ruhiges Leben.
Er streckte die Hand durch das halb offene Fenster, um den Fahrtwind zu spüren, und sang dabei: »Pfeif drauf, setz die Straße in Flammen, scheiß drauf, setz die Straße in FLAMMEN.«
Kapitel 6
Um Mitternacht fuhr Peter über die Golden-Gate-Brücke und danach die lang gezogene Steigung hinauf, die in den Ortskern von Marin führte. Irgendwo musste er zu einer Straße abbiegen, die landeinwärts führte, verpasste sie aber. Er machte an einer Tankstelle Halt und nutzte das Trans, um Lydia anzurufen. Als sie sich meldete und ihm die Wegbeschreibung für die letzte Strecke zu Phils Haus in Tiburon durchgab, klang ihre Stimme wie die eines kleinen Mädchens. »Im Haus stapeln sich die Kartons«, sagte sie. »Mein Gott, was hat er nur alles gehortet.«
Peter, der müde war, bedankte sich bei Lydia und klappte das Trans zu. Er hatte sich schon lange gefragt, wo Phil all die Bücher, alten Magazine und Filme verstaut hatte, die er im Lauf der Jahrzehnte erworben hatte. Offenbar hatte Phil sein Hab und Gut schon seit einigen Jahren mit dem Wohnmobil in den Norden überführt, Teil eines langfristig geplanten, endgültigen Rückzugs aus Los Angeles. Und Peter gegenüber hatte er es mit keinem Wort erwähnt.
Auf den letzten Kilometern folgte er einer schlecht beleuchteten, gewundenen Straße, über der sich ein schwarzer, mit zehntausend Diamanten übersäter Himmel wölbte. Rechts und links der Straße konnte er schattenhaft Wiesen und teure Häuser ausmachen und im Hintergrund weitere Hügelrücken. Als er die letzte Abzweigung gefunden hatte, die zu einer Sackgasse namens Hidden Dreams Drive führte, warf er einen Blick nach Süden und entdeckte am anderen Ufer der Bucht San Francisco, hell erleuchtet wie ein fröhlicher Rummelplatz.
Zwischen den Umrissen knorriger, gestutzter Bäume zeichnete sich Phils Haus in Form dreier lang gestreckter, tiefschwarzer Rechtecke gegen den mit Sternen übersäten Himmel ab. Peter hielt neben einem neuartigen VW-Käfer, einem Beetle. Als er die Handbremse anzog, entdeckte er Lydia, die in einer Schaukel auf der vorderen Veranda saß. Der kurz geschnittene Bubikopf lag wie ein dunkles Komma über ihrem bleichen Gesicht. In ihrer Hand baumelte eine glühende Zigarette. Sie winkte ihm nicht zu.
Mein Gott, dachte Peter, schon das Grundstück muss eine Million Dollar wert sein. Er blieb auf dem Schotter vor zwei Holzstufen stehen. »Wunderschöne Nacht«, bemerkte er.
»Ich bleibe nicht«, verkündete Lydia, stand von der Schaukel auf, drückte die Zigarette in einer mit Sand gefüllten Thunfischdose aus und schleuderte die Kippe in die Dunkelheit. Peter zuckte zusammen, weil er dachte, sie könne damit womöglich ein Feuer auslösen. Aber das war typisch Lydia.
»Soll ich hineingehen?«, fragte er.
»Ganz wie du willst. Vermutlich hätte er sich das gewünscht«, erwiderte sie schroff. »Schon deshalb, damit du seine Sachen durchgehst und deine Hände die letzten sind, die das berühren, was ihm auf dieser Welt am meisten bedeutet hat. Um seine Frauen hat er sich jedenfalls einen Dreck geschert.«
Als Peter auf diesen Köder nicht anbiss, streckte sie sich. Trotz ihrer achtundvierzig Jahre besaß sie noch immer eine gewisse sorgsam gepflegte Straffheit und Anmut. Ihr Körper hatte seit ihrer Jugend kaum Fett angesetzt. Die strikte Diät und Falten, die vom Rauchen kamen, hatten ihre anderen natürlichen Reize beeinträchtigt, aber die Anmut war ihr geblieben.
Nachdem Peter sein Gepäck – er hatte nur einen Koffer dabei – auf die Veranda gebracht hatte, reichte sie ihm drei Schlüssel an einem schmutzigen Bindfaden, der an einem kleinen, von der ständigen
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