Stimmen
Peter Russell.«
»Hat Lydia dir von Phil erzählt?«
Hanks Lächeln erstarb. »Nein… Was ist denn los?«
»Er ist gestern gestorben.«
Hank war noch zu jung, um zu wissen, was er dazu sagen oder empfinden sollte, oder um die Tatsache überhaupt zu erfassen. »Mein Gott, woran?«
»Herzinfarkt oder Gehirnschlag.«
Der Tod war für Hank etwas, mit dem er noch nicht vertraut war. Er bemühte sich redlich, irgendwie angemessen darauf zu reagieren und irgendeinem Gefühl Ausdruck zu geben, was sich mehrere Sekunden lang in seiner Mimik widerspiegelte. »Gehst du zur Beerdigung?«
»Bis jetzt hab ich noch nichts von einer Beerdigung gehört.«
»Lydia wird eine wollen«, erklärte Hank bestimmt. »Zumindest eine Totenfeier. Aber ich fliege morgen, also werd ich nicht kommen können. Es sei denn, ich…«
Phil hatte Peter und Hank miteinander bekannt gemacht. Als Teenager hatte Hank einige Wochen bei Phil und Lydia gewohnt. Es war eine entscheidende Reifephase im Leben von Hank Wuorinos gewesen, dem jungen Ausreißer aus Arnes in Iowa. Vermutlich hatte Lydia Hank die Unschuld geraubt, was Phil ihm persönlich allerdings nie besonders übel genommen hatte. Lydia war nun mal so. Dass er nach einer solchen Einführung in das Leben von Los Angeles tatsächlich in Hollywood Fuß gefasst und Karriere gemacht hatte, verriet Hartnäckigkeit und echtes Talent.
»Mach dich an die Arbeit«, sagte Peter. »Phil würde es verstehen.«
»Außerdem könnte ich Lydia auch nicht vor die Augen treten«, erklärte Hank.
»Sie würde es sicher gern sehen, dass du bei ihr übernachtest und sie tröstest.«
»Scheiße«, erwiderte Hank geknickt. »Stimmt genau, wie du weißt.«
Peter streckte den Karton hoch. »Du kannst sicher eines von diesen Dingern brauchen, wenn du Kontakt halten willst. Such dir eins aus.«
Hank spähte in den Karton. »Was sind das für Dinger? Japanische Ostereier?«
»Man nennt sie Trans. Funktionieren wie Handys, kosten aber nichts, auch keine Gebühren. Wird dir sicher gefallen. Sie basieren auf einem System mit zwölf Zahlen.«
»Ist ja toll. Und die funktionieren tatsächlich?«
»Hab gerade erst einen Anruf auf so einem Ding entgegengenommen.«
Hank entschied sich für das rote Trans und drehte es entzückt hin und her. Seine traurigen Gefühle waren auf wundersame Weise wie weggeblasen. Er hatte Arbeit, würde die Welt sehen – und das wog fraglos schwerer als der Tod des armen, unglückseligen Phil.
»Keine Gebühren für Ferngespräche?«
»Bis jetzt nicht. Es sind Vorführgeräte.«
»Probieren wir’s doch mal aus.«
Peter tat ihm den Gefallen. Schon die Anwesenheit von Hank munterte ihn auf. Nachdem Peter ihm die HILFE-Taste gezeigt hatte, notierten sie sich die Kennziffern aller Telefone auf zwei Zetteln. Danach versuchten sie die jeweiligen Apparate von verschiedenen Räumen des Hauses aus anzurufen – wie kleine Jungs, die selbst Telefone basteln wollen und mit Drähten und Blechdosen herumexperimentieren. Die Verbindung klang so kristallklar, dass Hank ganz aufgeregt war. »Die sind echt toll«, sagte er. »Wie die Interociter aus This Island Earth.«
»Daran hab ich auch schon gedacht.«
»Wie viele kann ich haben?«
Peter überkam ein merkwürdiger Anflug von Geiz. »Nimm zwei, eines für deine Freundin.«
»Hab derzeit keine«, erklärte Hank ernsthaft, »aber in Prag werd ich sicher eine finden. Hab gerade Kafka gelesen, um mich in die Stadt einzufühlen. In den Reiseführern steht, dass Prag als die europäische Stadt gilt, die am meisten von ihrer Vergangenheit heimgesucht wird. Eine wahre Geisterstadt. Soll da auch eine Kirche voller Gerippe geben, hab ich aus dem Internet. - Wen willst du anrufen?« Das brachte Hank wieder auf düstere Gedanken, so dass er die Kaffeetasse hob, um auf den Verstorbenen anzustoßen: »Auf Phil. Heißt Altwerden, dass einem die Freunde nach und nach wegsterben?«
»Irgendwie schon.«
•
Nachdem Hank gegangen war, sah Peter nach dem Anrufbeantworter in der Küche, auf dessen Display eine rote 1 aufblinkte. Er spulte das Band zurück – das Gerät war schon sehr alt, er kaufte nur selten neuen technischen Schnickschnack – und hörte es ab.
Es war Lydia, deren kindlich hauchende Stimme wie die einer jungen Joanne Woodward klang: honigsüß und samtweich. Sie teilte ihm mit, sie habe den Zug genommen und sei bereits in Marin, wo sie alles Nötige veranlasst habe. Sie sei bei Phil zu Hause erreichbar, die Totenfeier werde im
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