Stimmen
Dunkeln, hab ich nie gehabt. Da ist überhaupt nichts. An der Wand entlang tastete er sich bis zur Badezimmertür ganz rechts vor.
Im Schein einer kleinen Nachtlampe, die an der Steckdose klemmte, entdeckte er eine alte Badewanne mit Löwentatzen als Füßen, eine Toilette mit runder Keramikschüssel und in der Ecke ein einzelnes Waschbecken, das aus den Jahren um 1910 oder 1920 stammen musste. Er klappte den Toilettendeckel hoch, zog den Reißverschluss seiner Hose auf, pinkelte und seufzte dabei vor Erleichterung, den unangenehm brennenden Druck loszuwerden. Zwar war er noch nicht so schlimm dran wie andere seines Alters, aber trotzdem. Wie ein kleiner Junge richtete er den Strahl hin und her und sah zu, wie das Wasser aufschäumte und sich trübte. Angesichts der großen Dinge, die wir nicht im Griff haben, beschäftigen wir uns mit den kleinen, dachte er und sang leise einen Song der Doors vor sich hin: »This is… the end… beautiful friend.«
Als der Strahl schließlich stockte, schüttelte er noch ein paar Tropfen ab. Jetzt, da er älter war, fiel es ihm schwerer, auch noch den letzten Rest herauszupressen – was zwar eine kleine Unannehmlichkeit bedeutete, doch angesichts des schrecklichen, endgültigen körperlichen Versagens, das irgendwann auf ihn zukam, nicht von Bedeutung war.
»My only friend… the end.«
Irgendetwas, das sich schwarz vor der nicht ganz so dunklen Umgebung abzeichnete, strich an der offenen Tür vorbei. Peters letzte Spritzer landeten auf dem Fußboden. Halb schlafend starrte er bestürzt auf die kleine Pfütze, zog schnell den Reißverschluss hoch und beugte sich herunter, um den Urin mit zusammengefaltetem Toilettenpapier aufzuwischen.
Was war das gewesen?
Während er nach links blickte, ließ er den Toilettensitz herunter; allerdings glitten seine Finger dabei ab, so dass der Sitz laut scheppernd auf die Keramikschüssel knallte.
Mist. Muss ich es gleich in alle Welt hinausposaunen, dass ich hier drinnen bin?!
Er streckte den Kopf durch die offene Tür und sah rechts und links den Gang hinunter, wobei seine Augen ihm Streiche spielten. Er wünschte, Lydia oder sonst jemand, egal wer, würde auftauchen und »Buh!« machen, nur um ihm zu zeigen, wie lächerlich er wirkte und klang. Wie sehr er gegen das verstieß, was er sich selbst versprochen hatte: irgendwelchen seltsamen Erscheinungen nicht zu trauen.
Möglich, dass er es wieder tat, sich erneut der Selbsttäuschung hingab, hoffte, wo es nichts mehr zu hoffen gab – auf irgendetwas jenseits der materiellen Welt. Dabei wusste er doch aus Erfahrung, wohin es führen würde, wenn das so weiterging, wenn er sich treiben ließ und den von Kummer und Hoffnung geprägten Rückzug aus der Welt der Vernunft antrat: geradewegs in den völligen Zusammenbruch, wenn irgendwann die gewaltsame Ernüchterung käme.
Hab versucht, den Schuldigen zu finden. Hab um Daniella gebettelt. Um ein letztes Gespräch mit meiner Tochter, oh, mein Gott.
Erneut bewegte sich etwas auf dem Gang, das eigentlich gar kein bestimmtes Geräusch verursachte, sondern eher eine Veränderung in der Luftmasse. Jetzt war Peter sicher, dass irgendjemand ins Haus eingedrungen war, während er geschlafen hatte. Natürlich nicht Phil, sondern ein Einbrecher. Er griff in die Hosentasche, um nach dem Messer zu tasten, das er manchmal mit sich führte, fand es aber nicht. Es musste im Wagen oder auf dem Sofa herausgefallen sein.
Diesmal war er bewusst laut, als er die Badezimmertür aufdrückte und auf den Gang trat. Er sah sich nach beiden Seiten um, aber es war alles dunkel. »Wer immer du bist, hau ab, verdammt noch mal!«, rief er, die Hände zu Fäusten geballt. Er hatte kein Verständnis für Einbrecher. Bei ihm war schon oft genug eingebrochen worden, vier Mal im Haus, drei Mal im Wagen. Menschen, die andere bestahlen, verdienten seiner Meinung nach keinerlei Nachsicht.
Schließlich fand er einen uralten Lichtschalter und knipste das Ganglicht an. Es war niemand da, allerdings stand die Tür am Ende des Ganges, die zu Phils Schlafzimmer führte, einen Spalt weit offen. Einen Augenblick lang blieb er stehen und horchte.
Irgendjemand weinte. Das Geräusch hätte auch von draußen, von einem anderen Haus herüberdringen können, aber hier, am Ende des Hidden Dreams Drive, gab es keine Häuser in unmittelbarer Nachbarschaft. Erneut spürte Peter, wie sich hinter seinen Augen Hitze entwickelte, feuchte, tropische Hitze. Was für eine verrückte Empfindung!
Er
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