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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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nicht abgesperrt gewesen war. Und selbst im ländlichen Umkreis von Tiburon empfahl es sich nicht, Haustüren offen zu lassen.
    Bestimmt hatte der Postbote mehrmals nach Phil gerufen und war später ums Haus herumgegangen, um nach der Hintertür zu sehen…
    Den Rest der Geschichte konnte sich Peter zusammenreimen.
    Der kalte Metallgriff an der Tür des Grand Taiga war leicht zu bewegen. Peter ließ die Tür weit aufschwingen, hielt kurz den Atem an und schnupperte. Das Innere roch modrig, leicht faulig, als wäre der Müllbehälter nicht geleert worden. Er fuhr zurück, lehnte sich an die Metallverkleidung an der Seite und dachte nach, während die Tür automatisch zuschwang.
    Quer übers Feld blickte er zum Haus hinüber. Von der Bucht her wehte eine leichte Brise, die dafür sorgte, dass der Boden schnell auskühlte. Irgendwo da draußen im hoch aufgeschossenen Hafer bemühten sich die Grillen, ein bisschen Schwung in ihr Zirpen zu bringen.
    Als er die Tür wieder öffnete, zog er sich an einem stählernen Haltegriff ins Wageninnere. Eigentlich roch es gar nicht so schlimm, eher, als hätte jemand gefurzt. Jedenfalls nicht so streng, dass es ihn nach draußen trieb. Nachdem er die Innenbeleuchtung eingeschaltet hatte, fielen ihm am Fußboden Schlammspuren von Stiefeln und Strohhalme auf. Phil hatte das Wohnmobil stets peinlich sauber gehalten. Also mussten die Spuren von der Polizei stammen. Vom Untersuchungsbeamten des Bezirks und vom Gerichtsmediziner, dazu autorisiert, in eine Privatsphäre einzudringen, die nicht mehr geschützt werden musste, da der Tote sie nicht mehr für sich beanspruchte. Macht ruhig weiter. Schaut euch um. Jetzt dürft ihr’s ja, denn ich bin nicht mehr da.
    In der Nische hinter dem Ofen und dem Kühlschrank war der Geruch stärker zu spüren. Noch stärker wurde er, als Peter nach vorne ging, zu den großen, mit blauem Cord gepolsterten Vordersitzen.
    Mit dem Fuß löste er den Fahrersitz aus der Halterung und drehte ihn herum. Der Sitz war mit Spritzern übersät, die dunkler und unheimlicher als Wasserflecken wirkten.
    Peter schloss die Augen, um Abschied von der tollkühnen Alten-Knacker-Tour zu nehmen und den Traum für immer zu begraben. Er ließ sich auf den Beifahrersitz fallen, rieb sich über den kurzen Bart und spähte durch die Windschutzscheibe, während das abkühlende Wohnmobil ächzte und knackte. Der Innenraum war immer noch aufgeheizt, da der Wohnwagen den ganzen Tag über der Sonne ausgesetzt gewesen war. Wie lange hatte Phil, bereits tot, noch aufrecht hinter dem Lenkrad gesessen? Wie lange hatte er zum Sterben gebraucht?
    Peter stand auf. Er hatte nicht das Herz, hier nach irgendwelchen Dokumenten zu suchen. Es war alles vorbei. Jetzt wollte er nur noch weg – weg vom Grand Taiga, weg vom Haus, das ihn daran erinnerte, dass alle kostbaren Besitztümer mit dem Tod wertlos wurden. Er wollte nur noch zurück zu seinem Wagen und irgendwo hinfahren, völlig egal, wohin. Er war bereits drauf und dran, die Schiebetür aufzureißen, als ihm etwas auf dem kleinen Schreibtisch hinter der Küche auffiel, tief im Schatten verborgen. Dort hatte Phil oft seine Schreibmaschine hingestellt, wenn er im Wohnmobil gearbeitet hatte. Peter schaltete eine weitere kleine Lampe ein, die den kurzen Gang in warmes rötliches Licht tauchte. Während er nach hinten ging, merkte er, dass auf dem Tisch keine Schreibmaschine, sondern ein hölzernes Schachbrett und Schachfiguren standen.
    Er erinnerte sich an dieses Schachspiel. Phil hatte daran besonders gehangen; nahezu der gesamte Vorschuss für ein Buch war dafür draufgegangen. Es waren in Bronze und Silber gegossene Figuren, die die archetypischen Helden und Schurken von Groschenromanen darstellten – geschaffen von dem berühmten, vielfach preisgekrönten Comic-Künstler Dale Enzenbacher.
    Auf einer Seite standen die in Silber gegossenen Guten: Der König, ein strammer Abenteurer in Stiefeln, Reithosen und Wams mit doppelreihigen Knöpfen, hielt etwas in den Händen, das ein Laserstrahler oder auch ein Gewehr mit überlangem Lauf sein mochte. Als Dame fungierte die Marsprinzessin Dejah Thoris in ihrer ganzen nackten Schönheit. Die Springer waren Privatdetektive mit tief ins Gesicht gezogenen Hüten und aufgestellten Kragen, deren Waffen ihre winzigen Taschen ausbeulten. Die Läufer waren als weise kahlköpfige Asiaten dargestellt: Mönche in bodenlangen Gewändern, die Hände in östlicher Demut gefaltet, die zweifellos nur darauf

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