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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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dem Dachgebälk befand und die Schlüssel dort hingehörten. Man musste schon aus einem ganz bestimmten schrägen Winkel nach oben blicken, um den Nagel überhaupt zu bemerken.
    Er hatte es einfach gewusst.
    Und Lydia offenbar auch.

 
Kapitel 12
     
    Die Nacht in Marin war zwar kalt, aber er hatte keine Lust, weiter nach Süden zu fahren, nur um am kommenden Morgen hierher zurückzukehren. Außerdem musste er mit seinen armseligen zehn Dollar sparsam umgehen. Also hielt er an einer Tankstelle an und fragte die Frau am Nachtschalter – eine junge Asiatin, die in einer von blauem Neonlicht erleuchteten Kabine saß –, wie er am besten nach San Andreas gelangen könne.
    Von ihrer hellen kleinen Insel aus warf sie ihm einen forschenden Blick zu. »Zum Andreas-Graben oder zum Gefängnis?«
    »Ich gehe morgen ins Gefängnis.«
    Kokett neigte sie den Kopf. »Sie nicht aussehen wie böser Mann. Sie erwachsen, kein Punk«, stellte sie fest, um gleich darauf hinzuzufügen: »Gefängnis geschlossen. Die bauen.«
    »Ganz richtig. Bürogebäude für die Hightechindustrie.«
    »Ich nicht weiß.« Sie schlug die Route in einem Autoatlas nach. Offenbar war sie froh darüber, dass ihr jemand so spät am Abend Gesellschaft leistete und es gerade Peter war. Diese Wirkung hatte er oft auf Menschen, besonders auf Frauen. Lydia hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Vielleicht hätte er ein anderes, produktiveres Leben geführt, wäre er ein bisschen weniger charmant gewesen.
    »Außerdem suche ich nach einem schönen Strand«, sagte er. »Mit netten Wellen.«
    »Das hier die Bucht, keine Wellen.«
    Peter zuckte die Achseln. »Gibt’s so was irgendwo in der Nähe?«
    »Vielleicht Point Reyes.«
    »Klingt gut. Gibt’s da auch eine YMCA-Herberge?« [vi]
    »YWCA vielleicht lustiger, wie?« Sie schüttelte das kurze schwarze Haar, kicherte und schlug sich die Hand vor den Mund. »Aber ich glaube, ist eine in San Rafael. Ich finde.« Mit Hilfe des Computers, der in ihrer Kabine stand, surfte sie im Internet, bis sie die Adresse gefunden hatte. »So langweilig hier nach zehn abends, machen mich verrückt. Ich surfen überall im Netz. Besitzer nichts dagegen, er mein Bruder. Sie glauben, er mir netten Mann vorstellen? Nein! Nur arbeiten, arbeiten, arbeiten, immer lange arbeiten, erst spät frei.« Mit Hoffnung im Blick musterte sie ihn durch die kugelsicheren Acrylscheiben.
    Peter belohnte sie mit einem trockenen Lächeln. »Im Kofferraum ist die Asche meines Freundes«, erklärte er. »Ich bringe ihn zum Strand hinunter.«
    Das ernüchterte sie sofort. Als er, ausgestattet mit einer Wegbeschreibung zur YMCA-Herberge am Los Gamos Drive, zurück zum Wagen ging, sah sie ihm mit Eulenaugen nach.
    Als Erstes jedoch musste er es ausnutzen, dass der Mond die Nacht erhellte und er noch genügend Benzin im Tank hatte. Es war an der Zeit, Phils sterbliche Überreste der Natur zurückzugeben.

 
Kapitel 13
     
    Vom Pazifik her blies der Wind über den Strand, wirbelte Sand auf und trieb ihn in durchscheinenden Schwaden vor sich her, so dass er leise durch das Gestrüpp und die geduckten Bäume rauschte. Da der Mond seinen höchsten Stand erreicht hatte, konnte Peter deutlich die Wellen erkennen – lange, aufgewühlte Brecher, die von einer tückischen schwarzen Untiefe im Meer aus grummelnd heranrollten. Ihm wirbelte Sand in die Augen. Ursprünglich hatte er vorgehabt, sich auf einen Felsen zu stellen und die Asche seines Freundes nach und nach mit der Hand ins weite Meer zu schleudern, aber das war eindeutig nicht durchführbar. »Nicht ich, sondern die Fische sollen daran ersticken«, murmelte er und schlug den Jackettkragen hoch, um sich vor dem Sand zu schützen.
    Phils Urne unter den Arm geklemmt, ging er so nahe wie möglich an die Wasserscheide heran, fuhr aber sofort zurück, als ihm die Gischt mit unerwarteter Kraft entgegenzischte. Nach mehrfachen Versuchen fand er einen Standort, der einen akzeptablen Kompromiss darstellte, beugte sich vor, schraubte den dicken Plastikdeckel von der Urne und wartete darauf, dass sich die schäumenden Wirbel langsam zurückzogen. Er hielt es für das Beste, Phils Asche nach und nach zu verteilen. Wenn er den Inhalt der Urne auf einmal ausschüttete, würde am Ende ein nasser grauer Klumpen zurückbleiben, ähnlich einem Zigarrenstummel, den das Wasser erst mit der Zeit auflösen würde – und das gefiel ihm nicht.
    Peter verteilte die körnige Asche, indem er jeweils eine knappe Hand voll ins Meer

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