Stimmen
hinterlassen hatte.
Mit Tränen in den Augen las Peter Phils allerletzte Botschaft.
Beide sind wir nichts anderes als enttäuschte Jungs.
Schließlich faltete er das Blatt zusammen und verstaute es in seiner Hemdtasche. Danach hob er das Glas vom Schachbrett, prostete der leeren Luft zu und stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter. Selbst nachdem der Scotch hier schon tagelang gestanden hatte, schmeckte er großartig – nach Rauch, Feuer und Torf und Spuren von Vanille und Eiche – und hatte auf der Stelle eine verdächtig angenehme Wirkung. Das zweite Glas sah verlockend aus, doch es war nicht für ihn bestimmt, sondern im wahrsten Sinne des Wortes Phils Geist vorbehalten. Er ließ es im Schränkchen stehen und schloss die Tür. Danach kramte er in der Küche herum, wo er eine kleine Schachtel entdeckte.
Er wickelte die Silber- und Bronzefiguren von Enzenbacher in Papiertücher aus dem Badezimmer und legte eine nach der anderen in den Karton.
Dieses Schachspiel hatte er immer gemocht.
•
Nachdem Peter den Karton in seinem Koffer verstaut hatte, trug er ihn zum Wagen. Gleich darauf zog er das Trans aus der Tasche seines Jacketts, das er achtlos auf den Beifahrersitz des Porsches geworfen hatte.
Das hübsche grüne Gerät schmiegte sich in seine Handfläche.
Da die Nachtluft kühl war, streifte er das Jackett über. Nachdenklich hielt er das Trans ans Ohr. Im Grand Taiga war alles so ruhig gewesen, wie es sein sollte, aber jetzt wartete hinter dieser Ruhe erneut eine tiefere Stille. Eine weitere Sinnestäuschung? Vielleicht konnte er Weinstein morgen danach fragen.
Als Peter zum Haus zurückkehrte, um dort alles zu schließen und abzusperren, sah er aus dem Augenwinkel heraus irgendetwas aufflackern. Er wandte den Blick nach links, ins düstere Wohnzimmer: Lichtflecken spielten über die Wände, tanzten im Spiegel über dem Kamin – offenbar irgendwelche Lichtreflexe, die durch das vordere Fenster drangen. Doch es hatte seit Tagen nicht geregnet, der Boden draußen war trocken, es gab dort keine Wasserpfützen. Und der Mond stand längst zu hoch am Himmel, als dass er dem Auge solche Streiche hätte spielen können.
Die Lichter funkelten im Spiegel, wurden von der Urne reflektiert.
Phils Asche, das Letzte, was von ihm geblieben war.
Peter trat vor und griff entschlossen nach der Urne. Er würde die Asche an irgendeinem schönen Ort verstreuen. Auch wenn Phil kein regelrechtes Testament hinterlassen hatte, in dem sein letzter Wille enthalten war, wusste Peter, was er sich gewünscht hätte: dass man seine Asche bei Big Sur den Wellen übergab, den Kohlenstaub der Wiederverwertungsanlage der Erde zuführte.
Soll doch ein Fisch an mir ersticken.
Er konnte fast hören, wie Phil es sagte, es klang genau richtig. Na gut, in seinem Inneren lebte immer noch ein bisschen von Phils Stimme weiter. Mit der Urne unter dem Arm blieb Peter einen Augenblick an der Tür stehen und beobachtete mit zunehmender Verwirrung die Lichtreflexionen. Er brauchte zwanzig Sekunden, um zu erkennen, dass die Lichter nicht auf den Wänden spielten, sondern nur in ihrer Nähe. Knapp unterhalb der Decke schwebten sie in der Zimmermitte.
Und es waren gar keine Spiegelungen – dazu bewegten sie sich viel zu frei –, sondern Irrlichter, die kaum wahrnehmbare Geräusche machten, wie große Motten.
Während er ihnen zusah, fühlte er sich wie nach einem Koffeinschub: hellwach, mit Energie aufgeladen, neugierig. Aber bald darauf verblassten die Lichter, und das Zimmer lag wieder düster und leer da. Jetzt fühlte er sich nur noch einsam. So als wäre er high von Drogen gewesen, deren Wirkung nun schwand, trat etwas Trübes, Bedrückendes an die Stelle der Energie, die ihn kurz zuvor noch aufgeladen hatte. Kurz überlegte er, ob er zum Wohnmobil zurückkehren und Phils Glas Scotch austrinken oder nach der Flasche suchen sollte. Phil würde es ihm nicht übel nehmen. Nur ein bisschen Trost…
Er schloss die Haustür, sperrte sie hinter sich zu und hängte die Schlüssel wieder an einen Nagel, der sich unterhalb des Dachgebälks der Veranda befand. Anschließend ging er zum Wagen, zwängte die Urne neben seinen Koffer, ließ die Haube des Kofferraums laut hinunterkrachen und beugte sich vor, um sie so zu schließen, dass der Riegel einschnappte.
Erst als er sich daran machte, die Zündung einzuschalten, wurde ihm bewusst, dass Lydia ihm nichts von dem Nagel erzählt und mit keinem Wort erwähnt hatte, dass er sich vorne unter
Weitere Kostenlose Bücher