Stimmen
erwachsene Männer hatten einander umschlungen und geheult.
Die Gischt schimmerte schwach, als sie die letzten Aschereste hinaus aufs Meer trug. Peter rieb sich Sand, Schaum und frische Tränen aus den Augen und trottete am Strand entlang zum Parkplatz. Es war vier Uhr morgens. Abgesehen vom Porsche war der Parkplatz leer. Er war zu müde und erschöpft, um noch zur YMCA-Herberge zu fahren. Stattdessen lenkte er den Wagen zu einer Klippe, wo er vor der salzigen Gischt und dem Sand geschützt war, hielt an, rollte sich in dem engen Schalensitz zusammen und lehnte den Kopf an ein kleines Polster, das er immer dabeihatte und das ihm manchmal als Sitzkissen diente.
Jetzt, wo Phil nicht mehr da war, hatte er kaum noch einen Menschen, mit dem er reden konnte. Dass er schon so lange allein war, bedeutete für ihn die schlimmste Art von Niederlage – etwas, das er stets hatte vermeiden wollen, meistens mit beträchtlichem Erfolg. Vor seiner Heirat waren natürlich viele Frauen um ihn herum gewesen, aber auch jede Menge Freunde. Und nicht wenige waren beides für ihn gewesen.
Doch Phil war etwas Besonderes, er war immer für ihn da gewesen, selbst in den schlimmsten Zeiten. Das war nun endgültig vorbei.
Als er einschlief, träumte er von den Schlüsseln am Bindfaden und zuckte dabei immer wieder heftig zusammen. Die Schlüssel hingen vor ihm, baumelten von irgendeiner Hand herunter, einer Männerhand, nicht Lydias, wie deutlich zu erkennen war. Sie waren in goldenes Licht getaucht, selbst der dreckige Bindfaden leuchte tizianrot.
Bald darauf erwachte er, drehte den Kopf und merkte, dass über den Hügeln hinter der Schnellstraße der Morgen heraufdämmerte. Da seine Brille zusammengeklappt auf dem Armaturenbrett lag, sah er die ganze Welt draußen wie durch einen Nebel. Das blau-graue Meer wirkte kalt. Er hatte einen widerlichen Geschmack im Mund und roch nach Salzwasser, außerdem musste er pinkeln. Aber inzwischen war die Straße wieder befahren, so dass er nicht einfach aussteigen und sich irgendwo erleichtern konnte.
Er hörte ein Klopfen am Fenster, so leise, als wäre ein Insekt gegen die Scheibe geprallt. Ein grauhaariger alter Mann beugte sich herüber, um zu ihm ins Auto zu spähen.
»Netter Wagen«, bemerkte er.
Peter blinzelte und rieb sich die Augen. »Danke«, murmelte er und griff nach seiner Brille, aber sie glitt ihm aus der Hand und rutschte zwischen die Sitze.
»Ein Porsche, stimmt’s?« Die Stimme des Alten schien aus meilenweiter Entfernung zu kommen.
»Tja.« Peters Nackenhaare stellten sich auf. Wieder spürte er, wie etwas an ihm zerrte, genau wie in Phils Schlafzimmer, als das Ebenbild von Lydia dieses Drängen und Verlangen ausgestrahlt hatte.
»Sieht schon toll aus, hat viel Schliff, von hinten wie ein Straßenschiff. – Wie wär’s mit einer Spritztour?«
Der Alte redete und redete. Peter, dem es noch immer nicht gelungen war, die Brille zu finden, brauchte mehrere Sekunden, bis ihm etwas Seltsames auffiel: Während er den Parkplatz im Hintergrund, das Meer und die umstehenden Bäume nur verschwommen ausmachen konnte, war der Alte glasklar zu erkennen. Jede Einzelheit hob sich so deutlich vom Rest ab, dass es den Augen fast schon wehtat. Hinter ihm standen drei Kinder, verwahrloste, dünne, blasse Kinder, kaum zu sehen.
Eines der Kinder kletterte auf das Sicherheitsgeländer, balancierte darauf herum, machte einen Luftsprung und löste sich auf wie Rauch.
»Die Kleinen wachsen im Dreierpack, hängen wie Affen vom Baum herab«, bemerkte der Alte.
Peter tastete hektisch nach der Brille, die im Spalt zwischen den Sitzen liegen musste, und versuchte gleichzeitig, den Alten im Auge zu behalten, der ebenso hämisch wie nachsichtig lächelte.
»Einsam hier draußen, wie?«, fuhr der Alte fort. »Was ich brauch, is Smoky Joe, ob verschnitten oder als Stumpen. Ha’m Se was für ‘nen alten Lumpen?«
Peter spürte das Zerren jetzt so stark, als hätte sich ein Angelhaken in seine Brust gebohrt. Schließlich ertastete er die Brille, stellte die Knie auf und hievte sich so in dem Sitz empor, dass er aufrecht da saß.
»Schlimme Welt, harter Trip, Smoky öffnet dir den Blick.«
Peter schob sich die Brille über die Nase, wobei er sich mit dem Bügel fast ins Auge gestochen hätte – und sofort wirkte die Szenerie da draußen erschreckend anders, als wäre aus einem Dia-Positiv ein Negativ geworden: Während die Landschaft klar und deutlich hervortrat, waren von dem Mann und den Kindern
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