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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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warf. Als ihm nach fünf Minuten die Knöchel und Knie wehtaten, musste er an Phils unzählige Gebrechen denken: das ständige Sodbrennen, das Anfangsstadium eines Lungenemphysems von all den Jahren, in denen er geraucht hatte – er hatte wie ein Schlot geraucht und behauptet, das gebe ihm ein Gefühl von Normalität –, und dann die großen Leberflecken am Kinn und an der Nase. Einmal war er auch an Gürtelrose erkrankt. Und bei gesellschaftlichen Anlässen hatte er leicht die Nerven verloren.
    Als Phil 1987 die Playboy-Villa besucht hatte, war er zwar in bester – und aufgegeilter – Stimmung, aber auch ein Nervenbündel gewesen. Um ihn zu beruhigen, hatte Peter dafür gesorgt, dass sie einen Tisch fanden, und dort seinen Skizzenblock hervorgezogen. Bis weit nach Mitternacht hatten sie sich ein Duell mit der Waffe des Bleistifts geliefert und Karikaturen gezeichnet. Phils Figuren waren schnell dahingeworfene, ängstliche Alltagstypen mit langen Nasen und wissenden Augen gewesen, während Peter mehr ins Detail gegangen war und weltverdrossene Teufel mit kleinen Hörnern und sarkastischen Mienen skizziert hatte. Sie hatten die Karikaturen nach rechts und links weitergereicht, an eine wachsende Menge schöner Frauen und neidischer Männer. Hefner hatte sich ein paar Minuten zu ihnen gesetzt und später mehrere dieser Karikaturen veröffentlicht. Die Schecks hatten sich auf mehr als sechstausend Dollar belaufen. Phil hatte das als schönsten Moment in seinem Leben bezeichnet.
    Er hatte unter einer zwanghaft-neurotischen Persönlichkeitsstörung gelitten. Zwar hatte er sich nicht ständig die Hände geschrubbt, sich aber immer wieder davon überzeugen müssen, dass die Lampen tatsächlich ausgeschaltet und bei Geräten, die sich überhitzen konnten, die Stecker gezogen waren. Einmal hatte Peter zwanzig Minuten auf Phil gewartet, während er Zimmer für Zimmer überprüft und die Tür zehn Mal auf- und wieder abgeschlossen hatte. Die Kaffeemaschine, der Fernseher, die Heizung – alles hatte er ausschalten oder von der Steckdose trennen müssen, denn man konnte ja nie wissen, ob nicht irgendein Kurzschluss ein Feuer auslösen würde… Phil war übereifrig auf den Schutz von Hab und Gut bedacht gewesen.
    Peter warf noch eine Hand voll Asche in die Gischt und stellte sich so hin, dass der Wind, der über die Wellen strich, sie ihm nicht zurück ins Gesicht treiben konnte. Anschließend stapfte er im Krebsgang den Strand entlang und schleuderte bei jedem Schritt kleine Klumpen von Asche in die Wellen.
    Für den Horrorfilm, den Joseph nicht hatte finanzieren wollen, hatte er Informationen über Einäscherungen eingeholt. In älteren Krematorien kam es häufig vor, dass man die Leichen umdrehen, anstoßen und an die richtige Stelle schieben musste, damit sie auch wirklich zu reiner Asche verbrannten. Es war eine harte und schlecht bezahlte Arbeit, die heißen, schwelenden Körper mit der Zange umzudrehen. Manchmal musste man auch das Herz, diesen zähen, harten Klumpen muskulösen Fleisches, aus der Leiche lösen und es getrennt vom Rest zerhämmern oder zermahlen.
    Jedenfalls hatten ihm das die Bestattungsunternehmer bei mehreren Drinks in einer Bar am Campo de Cahuenga erzählt.
    »Mein Gott«, murmelte er und beugte sich hinunter, damit die Gischt seine Hände benässte, »was hab ich schon alles für dich getan, Phil. Das kann man wirklich laut sagen.«
    Aber das hier kam ihm richtig vor, es war die Mühe wert. Er stellte sich Phil frei von jeglicher Nervosität, Schmerzen und schlimmen Erinnerungen vor. Doch die Wellen lösten auch Phils seltsamen, verrückten Humor auf. Und seine Augen, die geblitzt hatten, wenn er davon erzählt hatte, wie er in einem Sammlerladen ein vergriffenes Groschenheft in ausgezeichnetem Zustand aufgetrieben hatte. Das kalte Salzwasser voller Gischt, die sich brach und dabei zischte, verleibte sich auch den Phil ein, der die Arme geschwenkt und gelacht hatte, als sie besprochen hatten, wo sie auf ihrer tollkühnen Tour der alten Knacker Halt machen sollten. »In Pismo Beach, Albakoykee, Lompoc und Cuc-A-MONGA-a.«
    Für immer verloren, wie alles andere, wie die seelische Erfahrung, die Phil dazu getrieben hatte, an Peters Verlust Anteil zu nehmen, wobei ihm Tränen über die Wangen gekullert waren. »Scheiße, Peter, so was Schlimmes hast du einfach nicht verdient, nie und nimmer«, hatte er gesagt. Peter hatte es vor Kummer fast zerrissen, als er in Phils Armen gezittert hatte. Zwei

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