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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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hatte zwar Anteilnahme gezeigt, aber auch kein Hehl aus seinem Ekel gemacht. »Mein Gott, Peter, schließlich hast du immer noch Frau und Kind.«
    »Ich hatte mal eine Frau. Und ein zweites Kind.«
    »Also gut, das ist echt Scheiße. Aber du hast immer noch eine Tochter. Und das ist jetzt das Einzige, was zählt.«
    Bis auf den Scotch in Phils Wohnwagen, den Peter völlig vertretbar fand, hatte er seit achtzehn Monaten keinen Alkohol mehr angerührt. Er setzte einen Wasserkessel auf, um Tee zu machen, gab einen kleinen Löffel Earl Grey ins Tee-Ei, das er in einen Becher hängte, und goss kochendes Wasser darüber.
    Mein Gott, wie sehr er sich nach der Zeit sehnte, als sie noch alle zusammen in diesem Haus gewohnt hatten. Es war in so vieler Hinsicht falsch gelaufen, und er trug daran ebenso Schuld wie Helen… Aber weder ihm noch Helen konnte man das zum Vorwurf machen.
    Er überlegte, ob er ins Schlafzimmer zurückkehren sollte, um nach seiner Tochter zu sehen, beschloss jedoch, sie nicht zu stören, sondern einfach nur Tee zu trinken, den Augenblick zu genießen und sich zur Abwechslung einmal nicht wie ein Taugenichts zu fühlen – welch ein Wort! Ein Verlierer. Ein Mann, der sein Leben nicht auf Knopfdruck neu beginnen konnte. Aber zumindest, und das war das Wichtigste, war er immer noch Vater.
    Jedenfalls für den Augenblick.
    Helen hatte deswegen das Sorgerecht für Lindsey zugesprochen bekommen, weil sie dem Richter über ihren Rechtsanwalt mitgeteilt hatte, womit Peter früher seinen Lebensunterhalt bestritten hatte. Nicht, dass Peter vor Gericht dagegen angekämpft hätte. Schließlich reichte ja schon ein Blick auf seine gegenwärtige Arbeitssituation, um all seine Chancen zunichte zu machen.
    Nach dem ersten Schluck Tee brachte er sogar ein Schmunzeln zustande. Es war ein lächerliches Leben, aber immerhin sein eigenes. Dass es lachhaft war, konnte er nicht bestreiten. Nach der Heirat hatte er all seine Fotomappen im Keller eingeschlossen, und für Helen war die Sache damit erledigt gewesen.
    Um sich neben den Honoraren von den Benoliels noch eine zusätzliche Einkommensquelle zu erschließen und die freie Zeit zu nutzen, hatte Peter Ende der Neunzigerjahre wieder angefangen, Romanfassungen von Filmen und Fernsehproduktionen zu schreiben. Er war so schnell gewesen, dass er ein oder zwei Bücher im Monat geschafft hatte. Damals hatte er auch vorgehabt, einen Krimi zu schreiben, und mit Helen die Möglichkeit erörtert, ganz vom Schreiben zu leben. Da sie wieder für eine Baufirma tätig gewesen war, diesmal in einem Büro, hatten sie zusammen eine Zeit lang mehr als genug zum Leben verdient. Sie hatten sich sogar etwas zusammengespart und Geld für das spätere Studium ihrer Kinder angelegt. Damals hatte es durchaus im Bereich des Möglichen gelegen, dass er sich als Schriftsteller etablieren würde.
    Sie hatten als Familie zusammengelebt, und er war glücklich gewesen, wenn auch ruhelos. Die Unruhe hatte ihn nie verlassen.
    Was würde er darum geben, noch einmal so zu leben wie damals, und wenn es nur für eine Stunde wäre.
    Den brennenden Schmerz spürte er jetzt nur noch wie ein leichtes Sieden, kühler als das Wasser im Kessel, wenn das Pfeifen verklungen war.
    »Morgen rufe ich den Abschleppdienst an«, sagte er laut, »und bringe mein Leben wieder in Ordnung. Schluss mit den Ausflüchten, Schluss mit den Wahnvorstellungen, Schluss mit der Selbstzerstörung.«
    Nachdem er den Tee ausgetrunken hatte, überlegte er, ob er zu Bett gehen sollte. Vielleicht nutzte er es besser aus, dass er jetzt einen klaren Kopf hatte und sich gut fühlte, und ging erst noch einmal in den Keller und sah die Notizen durch. Es war die Depression gewesen, die ihn so mutlos gemacht und daran gehindert hatte, klar zu denken und neue Ideen zu produzieren. Da dieses Gewicht nun nicht mehr auf ihm lastete, würde er sicher vorankommen, zumindest ein paar Schritte.
    Glücklich.
    Mein Gott, er war tatsächlich glücklich.
    Barfuß marschierte er die Kellertreppe hinunter, öffnete die Tür zum Büro und machte gerade das Licht an, als er oben in der Küche das Telefon läuten hörte. Um zu verhindern, dass Lindsey aufwachte, hastete er die Treppe hinauf und nahm jeweils zwei Stufen auf einmal. Außer Atem und mit vor Ärger gerötetem Gesicht griff er nach dem Hörer. »Hallo?«
    »Peter, ich bin’s, Helen.«
    »Tut mir Leid, dass ich nicht rechtzeitig zurück war und du mich nicht angetroffen hast«, sagte er schnell. »Sie

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