Stimmen
andere Holzbohle. Nach kurzer Stille antworteten die Möbel darauf.
So plötzlich, als wäre eine Tür zugeschlagen, änderte sich die Situation. Der Gang war jetzt leer, das Knäuel, das im Dunkeln lauerte, verschwunden. Der Gestank von Kohle, Moder und Schimmel wich dem vertrauten, anheimelnden Geruch eines alten Hauses, das ruhig und gemütlich am Ende einer Sackgasse in den Hügeln von Glendale lag. Peter fuhr sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Blitzartig flammte Zorn in ihm auf -Zorn, gepaart mit Angst. Er streckte die Finger nach dem Lichtschalter aus und drückte ihn mit einem Ruck hoch, wobei es ihm so vorkam, als bewegte der Schalter sich in Zeitlupe, bis er endlich knackend einrastete. Sogleich ergoss die Deckenlampe aus Milchglas ihr tranfunzeliges Licht über den Gang, erfasste Winkel und Wände. Wie eine dicke Farbschicht legte sich Helligkeit über die ganze Szenerie, Peter aber war dennoch nicht wirklich beruhigt: Farbe konnte so manches überdecken, auch wenn es noch da war. Deshalb wartete er eine Weile, bis er nur noch die Gerüche des Hauses wahrnahm und zu schwitzen aufhörte.
Die Tür zum Schlafraum der Mädchen war immer noch bis auf einen Spalt geschlossen. Er zog sie auf und trat ins Zimmer.
»Liebling? Schätzchen?«
Im Licht, das vom Gang hereindrang, sah er, dass beide Betten unberührt und ordentlich gemacht waren. Niemand hatte die Bettwäsche und die passenden Überdecken mit den Harry-Potter-Motiven angetastet. Alles war glatt gezogen, genau so, wie Helen es vor zwei Jahren hinterlassen hatte, abgesehen von ein paar Falten, die daher rührten, dass Peter hier hin und wieder abstaubte.
Er ließ die Stahlstange los, die auf einer Kante landete und gleich darauf laut scheppernd auf den Flickenläufer zwischen den Betten fiel. Zitternd holte er Luft und ging in die Hocke. »Ich bin hier«, teilte er dem Zimmer mit. »Bitte, Daniella, gib mir eine zweite Chance.«
Natürlich antwortete ihm niemand.
Die Welt hatte wieder Realität angenommen.
Kapitel 25
Manchmal ist das Einzige, was uns rettet, ein Fantasiegebilde, eine Erinnerung, etwas, das wir aus der Bibliothek des Vergangenen haben mitgehen lassen. Und obwohl die Leihfrist längst abgelaufen ist, bewahren wir diese Erinnerung dankbar und ohne jedes Schuldgefühl auf.
Peter brachte seine morgendliche Dusche hinter sich, zog sich an und dachte (sofern er überhaupt etwas dachte): Mir fehlt nichts, es geht mir gut.
Was ihn hätte erschüttern können, erschüttern sollen, wirkte sich keineswegs so aus. Er hatte keine Halluzinationen, war nicht verrückt und hatte auch nicht die Absicht, sich dergleichen als »Freiheit eines Künstlers« einzuräumen. Tatsache war, dass er monatelang nichts lieber getan hätte, als sich Daniella noch einmal deutlich ins Gedächtnis zu rufen oder plastisch von ihr zu träumen. Wie gern hätte er sich ihr Bild vor Augen gehalten, ohne auf Fotos zurückgreifen zu müssen, aber es war ihm nie gelungen.
Es war nicht die eigene Einbildungskraft, die ihm Daniella zurückgebracht hatte. Seine Tochter war in diesem Haus, steckte in irgendeiner Klemme und hatte sich an ihn gewandt. In seiner Gegenwart würde ihr nichts passieren; er bot ihr Schutz.
Das alles waren nur vage Ideen – vage, nebulös und nicht sonderlich einleuchtend –, aber sie reichten aus, um Peter durch den Vormittag zu bringen und ihm seine Handlungsfähigkeit zu erhalten. Er rief den Abschleppdienst an und danach die Porsche-Werkstatt, mit der er die besten Erfahrungen gemacht hatte. Er würde im Tageslicht zum Wagen gehen; bei Tag würde nichts schief laufen. Vielleicht herrschte, wenn hier Tag war, drüben, auf der anderen Seite der Welt, Nacht, und alles schlief dort oder verbarg sich irgendwo. Die Dinge fügten sich allmählich zusammen. Vielleicht hatte Phils Tod oder Lydias Anruf dies alles ausgelöst und ihn aus dem Gleis der Normalität geworfen.
Als Teenager hatte er Twilight Zone geliebt und in der aufregenden Vorstellung geschwelgt (mit der es ihm halb ernst gewesen war), es müsse noch mehr geben als dieses normale Leben. Nun ja, jetzt hatte er es direkt vor der Nase, hatte Beweise dafür, die das Zünglein an seiner Waage stark in eine bestimmte Richtung ausschlagen ließen. Peter Russell, der alte Skeptiker, war zur Leichtgläubigkeit umgeschwenkt, aber diesmal hatte er reale, wenn auch völlig subjektive Anhaltspunkte. Jetzt hatte er es nicht mehr nötig, verzweifelt nach irgendwelchen Strohhalmen zu
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