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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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ist…«
    »Ich wollte eigentlich schon früher anrufen«, fiel ihm Helen ins Wort. »Dieser Mistkerl hat mich versetzt. Der Teufel soll sie alle holen, hab ich nicht Recht? Der Teufel soll die Männer holen, allesamt. Darauf läuft’s in meinem Leben hinaus. Offenbar bin ich nicht mehr so umwerfend schön, dass mir die Männer zu Füßen liegen, oder?«
    »Jedenfalls bin ich froh, dass du…«
    Helen unterbrach ihn sofort wieder. Ihre Stimme klang zwar immer noch bitter, doch sie versuchte sich zu beherrschen. »Lindsey war traurig, dass sie nicht zu dir konnte, aber ich bin mit den Nerven wirklich am Ende und auf keinen Fall in der Stimmung, noch irgendwo hinzufahren. Lindsey sieht jetzt fern und schmollt. Na ja, vielleicht bringe ich sie am Wochenende vorbei. Wir könnten ja zusammen irgendwo hinfahren, ein Picknick machen, das wäre schön. Hast du am Wochenende überhaupt Zeit?«
    »Peter?«
    »Peter?«
    »Verdammt noch mal, ich kann doch nichts dafür, Peter!«
    Sie legte auf.
    Peter hatte den Hörer einfach baumeln lassen. Mit steifen, bedächtigen Schritten ging er zum Schlafzimmer der Mädchen hinüber. Der Wahnsinn war nicht von ihm gewichen, hatte nur auf der Lauer gelegen, um ihn erneut zu packen, als er überhaupt nicht darauf gefasst gewesen war.
    Lindsey hatte immer im linken Bett geschlafen. Wie war es möglich, dass er das vergessen hatte?
    Im rechten Bett hatte stets Daniella geschlafen.

 
Kapitel 24
     
    Irgendetwas veranlasste ihn, auf dem Gang stehen zu bleiben. Er wagte es nicht, das Licht einzuschalten, um nachzusehen, was es war. Aber er spürte, wie es ihn aus dem Dunkeln heraus beobachtete. Fast hatte es schon Form und Geruch angenommen – er dachte an verknäulte Aale oder lange, geschmeidige Echsen, eng miteinander verschlungen, die nach Kohle und feuchter Erde rochen.
    Mehrere Wesen, verschmolzen zu einem einzigen Geschöpf.
    Das Geschöpf war sehr alt und dennoch in diesem Haus geboren – oder wiedergeboren. Es war hungrig, aber es bewahrte Geduld. Er wagte nicht, sich zu rühren oder ins Schlafzimmer zu gehen, denn er hatte Angst, das Wesen damit zu reizen. Auf keinen Fall wollte er seine Tochter – seine tote Tochter, wie er sich ins Gedächtnis rief – der Gefahr aussetzen, die von diesem Geschöpf ausging, worin sie auch bestehen mochte.
    Während ihm am ganzen Körper der Schweiß ausbrach, spürte er etwas in der Hand und merkte, dass er die sechzig Zentimeter lange Stahlstange zur Fenstersicherung umklammert hielt, die er in der Küche aufbewahrte. Unterm Herd versteckt, so dass sie im Falle eines Einbruchs griffbereit war. Gegen wen oder was hatte er sich damit verteidigen wollen, womit hatte er gerechnet? Diesmal ganz sicher nicht mit Einbrechern.
    Vor wem oder was konnte er seine Tochter jetzt noch schützen?
    Sie waren zum Fressen ausgeschwärmt, hatten sich Lydias Ebenbild einverleibt. Raubtiere.
    Nein.
    Aasfresser. Aasfresser verfolgen die Toten und alles, was sie zurücklassen.
    Peters Kopf war eiskalt und glasklar. Als er lautlos einen Schritt nach vorn tat, spürte er, wie die Dunkelheit am Ende des Ganges darauf reagierte und sich verdichtete. Jetzt roch es weniger nach Kohle als nach Moder, nach einer feuchten, verschimmelten Wandverschalung. Was immer in der Ecke da hinten auf der Lauer liegen mochte, jedenfalls ahmte es zur Tarnung die Gerüche eines alten Hauses nach. Peter konnte den Unterschied zu den echten Gerüchen des Hauses ausmachen. Es war so, als hätte er die Tarnfarben eines Jaguars erkannt, der sich im Dschungel zu verbergen suchte.
    Um die Kehle, die ihm wie zugeschnürt war, frei zu bekommen, räusperte er sich. »Ich weiß, dass du da bist«, sagte er laut. »Hau ab, mach, dass du rauskommst!« Er konnte fast sehen, wie sich das Knäuel verkrampfte, wie sich der Aasfresser wieder in die Ecke verdrückte. Wie kann sich ein Schatten winden? Wie kann ein Schatten wissen, dass ich hier bin? Der Schatten war nicht gerade froh darüber, dass Peter nach ihm Ausschau hielt und ihn direkt ansprach. Endlich einmal hatte Peter das Gefühl, tatsächlich etwas ausrichten zu können. Zwar würde ihm die Stahlstange nichts nützen, aber solange er hier stand, würde das Raubtier nicht angreifen können.
    Würde seiner Tochter nichts antun können.
    Seiner Tochter, die bereits tot war.
    Irgendwo im Haus knackte es wieder, diesmal so laut, als entlüde sich eine Waffe. Vielleicht war es derselbe Wandpfosten oder Dachbalken wie vorhin, vielleicht auch irgendeine

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