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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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würde sehen müssen, dass er vor Einbruch der Dunkelheit wieder zu Hause war.
    Falls er den Mut aufbrachte.

 
Kapitel 33
     
    »Gott sei Dank, dass Sie kommen konnten«, begrüßte ihn Michelle, während er die Treppe hochstieg.
    Sie saß auf der lang gestreckten, schattigen Veranda in einem Korbsessel, der wie ein Pfauenthron geformt war, und hatte die Beine übereinander geschlagen. Obwohl es erst drei Uhr nachmittags war, hielt sie einen Martini in der Hand.
    »Um was geht’s?«, fragte Peter.
    Sie zuckte die Achseln. »Er will’s mir nicht sagen. In emotionaler Hinsicht geht es schon seit einer Woche bergab mit ihm.« Mit verkniffenem Mund setzte sie nach: »Manchmal frage ich mich, ob ich den Mann überhaupt kenne.« Sie warf den Kopf hoch und stellte den Drink auf dem runden Glastisch ab. »Aber das muss unter uns – Ihnen, mir und dem Alkohol – bleiben.«
    »Ist doch klar.« Peter sah, dass sie neben dem Glas viele silberne Cocktailspieße zu einem grinsenden Clownsgesicht angeordnet hatte, das einem ausgehöhlten Halloween-Kürbis ähnelte.
    »Ich sollte damit aufhören«, sagte sie und griff gleichzeitig wieder nach dem Glas. »Ich trinke nicht viel, aber ich sollte ganz damit aufhören. Es ist nicht richtig, den Stress auf diese Weise abzubauen, oder? Denn er ist ja trotzdem noch da.«
    »Man spürt ihn nur nicht mehr so«, erwiderte Peter.
    »Sie haben schon vor langer Zeit damit aufgehört«, stellte sie fest und sah ihn mit ihren stark geschminkten grünen Augen forschend an. Er hatte sie noch nie so stark geschminkt gesehen: Auf die Wangen hatte sie Rouge aufgetragen, die Augen mit falschen Wimpern und Mascara betont. Es grenzte schon ans Groteske.
    »Weil es mich umgebracht hätte«, erklärte Peter.
    »Sie sind stark.« Ihr Gesichtsausdruck wechselte schlagartig, die Miene hellte sich auf. Eben noch trübsinnig, im nächsten Augenblick freundlich und neugierig. »Wie ist das Vorstellungsgespräch gelaufen?«
    »Ich hab einen Job«, erwiderte Peter mit einem Lächeln. »Dank Ihnen.«
    »Ich hab nur mein Bestes versucht«, wehrte Michelle ab. »Vielleicht freut sich Joseph, wenn er das hört. Er mag Sie, wissen Sie.«
    »Ja, ich weiß. Ich würde ihn nur ungern enttäuschen – und Sie auch nicht.«
    »Wie, zum Teufel, sollten Sie uns enttäuschen können?«, fragte Michelle ehrlich erstaunt.
    »Kann sein, dass ich den Job wieder verliere. Es ist so, als versuchte ich dauernd, mir selbst alles kaputtzumachen.«
    »Wie beim letzten Mal?« Michelle beugte sich vor.
    »Schlimmer als beim letzten Mal. Ich habe Erscheinungen.«
    Als sie die Hand ausstreckte, um ihm über den Handrücken zu streichen, kratzte einer ihrer langen Fingernägel kurz über seine Haut und hinterließ eine weiße Spur. »Wie kommen Sie darauf, dass Sie deshalb den Job verlieren werden? Joseph hat dauernd irgendwelche Erscheinungen.« Sie lächelte so, dass schwer zu ergründen war, ob es als Scherz gemeint war. »Er will sich mir nicht anvertrauen. Mir kommt’s so vor, als könnte ich Sturmwolken spüren, ohne zu wissen, aus welcher Richtung sie kommen. Manchmal redet er im Schlaf. Na ja, wir werden wohl alle mal alt.«
    Peinlich berührt blickte Peter über die weite grüne Rasenfläche. »Nun… bei mir ist es schlimmer.«
    Wolkenschatten jagten über Salammbo hinweg.
    »Erzählen Sie mir davon«, forderte Michelle ihn auf. Sie beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und sah ihn aus den Augenwinkeln an. »Es liegt mir viel daran, Peter. Ich hab früher zugehört, ich kann auch jetzt zuhören.«
    »Ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen sollte.«
    »Beginnen Sie mit dem gestrigen Tag. Ist als Anfang genauso gut wie alles andere.«
    »Was ich sehe oder nicht sehe, ist noch nicht das Schlimmste. Es ist das Muster, das sich wiederholt. Das Muster, für jemanden zu sorgen, der einem am Herzen liegt, diesen Menschen zu verlieren und danach zusammenzubrechen. Bekommen Sie bloß nie Kinder, Michelle.«
    »Das werde ich nicht«, gelobte Michelle.
    »Man mag sich noch so sehr für einen egoistischen Dreckskerl halten: Wenn Kinder da sind, nehmen sie einen Stück für Stück auseinander, um einen danach neu zusammenzusetzen. Man legt alles, was man selbst ist, in sie hinein, alle Hoffnungen, alle Ängste. Und dann kommt es einem so vor, als müsste man die Hände ausstrecken und alles und jeden beschützen – die ganze Familie, die ganze Welt. Oft hab ich im Bett gelegen und Angst gehabt, ich könnte eines oder beide

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