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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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meiner Kinder verlieren. Angst davor gehabt, was so etwas mir, mir und Helen, antun würde.«
    »Nun ja, das ist sicher ganz normal«, bemerkte Michelle.
    »Ja, aber ich hab trotzdem nicht Acht gegeben, nicht auf meine eigenen Ängste gehört. Hab das Wesentliche aus den Augen verloren. Ich war damals unterwegs… hab Material für ein Buch gesammelt, ein blödes, unbedeutendes Buch, mit dem ich sowieso nicht weiterkam, so viel Material ich auch sammelte. Und dann brach ein Teil der Schattenwelt herein und holte sich meine Tochter.«
    Helen am Telefon, die sagt, dass Daniella spurlos verschwunden ist. Mit dem Nahverkehrsflugzeug sofort von San Francisco zum Flughafen Burbank. Helen, die ihn draußen am Wartestreifen abholt und mit ihm nach Hause rast… Sitzen, abwarten, Gespräche mit den Polizeibeamten, die Suche nach Fotos, Personenbeschreibungen für die Bereitschaftspolizei, der langsame Marsch durch die einzelnen Dienststellen, bis sie nach vier Tagen an Detective Scragg geraten.
    Nur vier Tage, bis sie mit dem Morddezernat sprechen.
    »Schattenwelt?«, wiederholte Michelle ungläubig. »Teufel und Dämonen? Sie ist doch ermordet worden, Peter.«
    »Es ist eine Metapher. Von Kipling.« Das hier brachte ihn kein bisschen weiter.
    »Trotzdem würde ich gern wissen, was das für Erscheinungen sind. Vielleicht hilft es mir dabei, Joseph zu verstehen.«
    Peter sah mit zusammengekniffenen Augen über den Rasen. »Ich weiß nicht, auf was Sie hinauswollen. Es hat überhaupt nichts zu bedeuten, denn es kann ja gar nicht real sein, oder?«
    Sie zuckte die Achseln. »Manchmal wandelt er im Schlaf. Schreit mitten in der Nacht. Der Arzt sagt, es könnte eine Reaktion auf die Medikamente sein, die er zur Senkung des Bluthochdrucks einnimmt. Nachts ist es schlimmer, aber mittlerweile passiert es auch tagsüber. Wenn Sie nicht da sind. Wenn Sie da sind, zeigt er sich von seiner besten Seite.« Michelle rieb sich die Hände und starrte auf ihre Fingerknöchel. »Er redet von Ihnen wie von einem Sohn.« Ihr Gesicht verlor jeden Ausdruck. »Und das bedeutet wohl, dass ich Ihre Mutter sein muss, also verantwortlich bin für Sie wie für ihn. Sehen Sie? Auch ich kann mich für jemanden verantwortlich fühlen.«
    »Er hat mir überhaupt nichts davon erzählt.«
    »Na ja, das würde er auch nie tun, hab ich Recht? Diese besondere Last muss ich schon selbst tragen, wenn Sie gegangen sind.« Sie lehnte sich mit funkelnden Augen im Korbsessel zurück. »Ich glaube eigentlich nicht, dass hier irgendjemand dabei ist, verrückt zu werden, weder Sie noch Joseph. Trotzdem ist die Sache wirklich rätselhaft: Zwei ausgewachsene, gestandene Männer, die an ihrem Verstand zu zweifeln beginnen und irgendwelchen Gurus in Pasadena einen Haufen Geld in den Rachen werfen.« Sie stand auf. In ihrer kurzärmeligen weißen Bluse und der Bundfaltenhose wirkte sie wie ein Schützling von Howard Hughes – eine Nachwuchsschauspielerin, die Amelia Earhart verkörpern soll, die erste Frau, die im Jahre 1928 mit dem Flugzeug ganz allein den Atlantik überquerte. Michelle hätte gut und gern selbst als Gespenst durchgehen können, als eine Schauspielerin aus Salammbos Vergangenheit, aus den Dreißigerjahren, die kurz vorbeischaute. »Gehen Sie zu ihm.«
    »Natürlich.« Er stand auf und machte sich auf den Weg zur Tür.
    »Ich kann mit meinem Trans immer noch nicht im Haus telefonieren, im Bereich hinter der Veranda funktioniert’s nicht«, rief Michelle ihm nach. »Fragen Sie mal Weinstein danach.«
    »Ja, mach ich.«
     
    •
     
    Joseph, bekleidet mit Sweatshirt und irgendeinem Teil, das nach Skihosen aussah, saß vor den offenen Flügelfenstern im oberen Zimmer. »Na, Jagdglück gehabt?«, fragte er, ohne sich umzudrehen, als er hörte, wie sich die Tür schloss.
    »Ganz anständiges«, erwiderte Peter. »Die geben mir Arbeit, und das verdanke ich Ihnen und Michelle.«
    »Michelle hat die Beinarbeit gemacht, darin ist sie am besten. Kommen Sie, setzen Sie sich, damit ich mir nicht den Hals verrenken muss. Heute bin ich sowieso am ganzen Körper steif.«
    »Warum gehen Sie nicht hinaus und machen ein paar Übungen?«
    »Weil ich…«
    Einen Moment lang glaubte Peter zu wissen, was Joseph gleich sagen würde: Weil ich dabei bin, den Verstand zu verlieren. Aber Joseph führte den Satz nicht aus, sondern sagte stattdessen: »Diese Assistentin von Sandaji hat mich seit Ihrem Besuch ständig genervt.«
    »Will sie mehr Geld?«
    »Nein. Offenbar haben Sie

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