Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stine

Stine

Titel: Stine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
man unten – oder, was dasselbe sagen wollte, vor einem mit allerhand unleserlichen Blechschilden reich ausgestatteten Parterre-Verhau – klingelte, mitunter wie durch einen rätselhaften Federdruck in seiner Gesamtheit aufsprang, mitunter aber auch
nicht
, in welch letzterem Falle die nun von Etage zu Etage nötig werdende Einzel-Klingelei gar kein Ende nahm und bei jedem neuen Gitter zu dem Erscheinen eulenartiger alter Köchinnen führte, deren Examinationsverfahren um so peinlicher und eindringlicher war, als nur ihr Auge die Fragen stellte. Waldemar war zu lang und zu gut mit dieser altberlinischen Haus- und Treppeneinrichtung bekannt, um für gewöhnlich Anstoß daran zu nehmen, heute jedoch hatte dieses Absperrungssystem eine gewisse Bedeutung für ihn, und jede neu zu passierende Gittertür erschien ihm wie eine Mahnung, »es lieber nicht versuchen zu wollen«. Der mitgebrachte gute Mut indes überwand alle Bedenklichkeiten und ließ ihn schließlich bei der dritten und letzten Gittertür ankommen, an der er von einem alten Muffel von Diener (natürlich vom Lande), dessen Umwandlung ins Herrschaftliche sich nur sehr unvollkommen vollzogen hatte, mit einigermaßen überraschlicher Freundlichkeit empfangen wurde. Der Herr Graf seien zu Haus und würden sich sehr freuen. »Er sitzt über die Kupferstiche« (so schloß er), »und wenn er
da
drüben her is, is er immer guter Laune.«
     
    Der Diener ging voran, um zu melden, und der Eindruck, den Waldemar gleich bei seinem Eintreten empfing, war der denkbar günstigste. Wenn schon immer eine gewisse, durch einen guten Geschmack in Einrichtung und Ausschmückung bedingte Behaglichkeit in dem Wohnzimmer des Onkels anzutreffen war, so war diese Behaglichkeit heute bis zur Gemütlichkeit gesteigert. Die Fenster standen auf, und von den »Linden« her klang die Musik eines auf Wache ziehenden Bataillons herüber. Aber das war nicht alles, einfallende Lichter blitzten an den Wänden hin und her, und auf einem großen und eleganten Ständer von Mahagoniholz, dessen Wände niedergeklappt waren, lag eine Kupferstichmappe, darin der alte Graf emsig und andächtig zu blättern schien. Er trug schottischkarierte Pantalons, Sammetrock und einen Fez mit Puschel, alles in allem ein ziemlich sonderbar zusammengestelltes Kostüm, das freilich vollkommen zu seiner Versicherung stimmte: dem Eklektizismus gehöre die Welt.
    »Ah, Waldemar. Soyez le bienvenu. Herzlich willkommen, mein Junge. Nimm einen Stuhl oder stelle dich persönlich hierher... Im übrigen ganz nach deiner Bequemlichkeit. Du findest mich in einer gewissen Aufregung: eben hat mir Amsler diese Mappe voll italienischer Stiche geschickt, und ich schwelge in Reminiszenzen. Sieh...«
    »Mantegna...«
    »Ja, Waldemar, Mantegna. Du wirst das Original in der Brera gesehen haben. Süperbe. Wie das wohltut, eine verständnisvolle Seele zu finden. Alles redet von Kunst, aber niemand weiß etwas davon, und die wenigen, die die Wissenden sind, die fühlen wieder nichts oder wenigstens nicht genug. Ich möchte wissen, oder lieber nicht wissen, was der Baron zu diesem gekreuzigten und zugleich so wundersam verkürzten Christus sagen würde. Mantegna, für den ich beiläufig eine Spezialpassion habe – du hast doch hoffentlich seine Fresken im Gonzagaschen Palaste gesehn –, Mantegna, sag ich, hat den Leichnam Christi hier von der Fußsohle her gemalt, ein Wunderstück der Verkürzung, etwas Klassisches; etwas Niedagewesenes, versteht sich, in seiner Art. Ich wette zehn gegen eins, der Baron würde mir versichern, Christus sähe hier aus wie eine Badepuppe. Und wenn er sich dazu aufschwänge, so wär es nicht das schlimmste. Denn das ist zuzugestehn, die ganze Gestalt hat etwas Verzwergtes, etwas Koboldartiges, und indem ich darüber spreche, kommt mir ein andrer Vergleich, der mit dem von der Badepuppe beinah zusammenfällt. Wahrhaftig, dieser Zwerg-Christus erinnert mich an das in Holz geschnitzte Christkind in Ara Celi, an die Bambino-Puppe. Findest du nicht auch?«
    »In der Tat«, antwortete Waldemar, »es erinnert daran. Aber ich fürchte, lieber Onkel...«
    »... dich gestört zu haben. Nein, Waldemar. Ein Italianissimus wie du kann mich nie stören, wenn ich in italienischen Erinnerungen schwelge. Nichts davon. Aber diese Dinge stören
dich
. Wenigstens heute. Du bist zerstreut, du hast etwas auf dem Herzen. Und es kann nichts Kleines sein, denn ich seh in deinem Gesichte so was wie Fieberröte, die mir nicht recht

Weitere Kostenlose Bücher