Stine
heraufbeschwören, von der vielleicht keiner profitiert, und wir gewiß nicht. Adam, Neubeginn der Menschheit, Paradies und Rousseau – das alles sind wundervolle Themata, für die sich in praxi alle diejenigen begeistern mögen, die dabei nur gewinnen und nichts verlieren können, die Halderns aber tun gut, all dies in der Theorie zu belassen und nicht persönlich danach zu handeln.«
Der junge Graf lächelte vor sich hin. »Ja, Onkel, das ist das Allgemeine, das Alltäglich-Gültige. Gewiß, ich weiß es. Da gilt das, was du sagst. Und laß mich dir versichern, ich bin weit ab davon, den Welt- oder auch nur den Gesellschaftsreformator machen zu wollen. Dazu hab ich nicht die Schultern. Aber das Besondre, das Besondre.«
»Welches Besondre?«
»Stine.«
»Ja so, die«, sagte der alte Haldern und ließ in allem erkennen, daß er im Laufe des Gesprächs den Ausgangspunkt so gut wie vergessen hatte. »Ja, Stine... Dummes Zeug. Ich kenne das. Ein Junggeselle, der über fünfzig hinaus ist, ist mehr als einmal in Gefahr gewesen, an dieser Klippe zu scheitern. Aber das sind Anwandlungen, Fieberanfälle. Solange sie dauern, legt man sich die Weltgeschichte nach dem kleinen Gefühl zurecht, das einen gerade beherrscht; aber von heute auf morgen, oder wenn es hoch kommt von heute bis übers Jahr, hat man sich besonnen und sieht die Dinge nicht mehr durch das Trug- und Zauberglas unserer erhitzten Phantasie, sondern durch die Fensterscheibe der Alltäglichkeit. Stine! Du sollst nicht brüsk mit ihr brechen, im Gegenteil, besuche sie, solange dich's dazu treibt; habe deine Plauderstunde mit ihr ruhig weiter; aber es muß der Augenblick kommen, wo sich's ausgeplaudert hat und wo du deinen Irrtum empfindest. Eines schönen Tages fällt es dir wie Schuppen von den Augen, und du siehst in einen Abgrund.«
»In welchen?«
»Das wag ich nicht vorherzusagen, vielleicht bloß in den der Langweile, vielleicht auch in einen schlimmeren. Und den Tag danach schreibst du ihr einen Abschiedsbrief und trittst deine dritte Römerfahrt an. Rom paßt ohnehin für die Halderns, alt zu alt. Aber nicht Amerika. Ja, für die Diggings oder ein Goldgräbercamp ist mir, offen gestanden, auch Stine zu schade. Beiläufig, was Stine von Amerika braucht, ist eine Singersche Nähmaschine.«
Waldemar erhob sich von seinem Platze. »Du hast, Onkel, von deinem Standpunkt aus, ein Recht, so zu sprechen, ja, vielleicht härter und herber noch; es liegt dir fern, mich kränken zu wollen, ich höre das heraus, und ich danke dir dafür. Aber alles, was du gesagt, kann mich nicht umstimmen; es muß bleiben, wie es ist. Ich fühle mich zu diesem liebenswürdigen Geschöpf, das nichts ist als Wahrhaftigkeit, Natürlichkeit und Güte, nicht nur hingezogen, das sagt nicht genug, ich fühle mich an sie gekettet, und ein Leben ohne sie hat keinen Wert mehr für mich und ist mir undenkbar geworden. Es braucht nicht Amerika zu sein; es findet sich auch wohl ein Winkel hier...«
»Was Gott verhüte...«
»Dann also drüben. Und ich bitte dich, mir bei den Eltern in Groß-Haldern, wenn nichts weiter, so doch das Ausbleiben eines großen, aufgesteiften Protestes erwirken zu wollen. Eine gegen mich verhängte Familienacht möcht ich, wenn's irgend geht, vermieden sehen, sowenig Schreckliches alle Bann- und Achterklärungen von jeher für mich gehabt haben. Ich erwarte kein Ja, keinen Segen; ich verzichte darauf, schon einfach, weil ich muß. Es verlangt mich nur zu hören, daß man sich in das Unvermeidliche gefunden hat, daß man sich ihm unterwirft, als wär es eine Schickung, oder welch sonstige fromme Bezeichnung man dafür wählen mag. Der junge Pastor kann ja Worte zur Auswahl stellen. Lebte der alte Buntebart noch, so wär es besser. Der Besitz fällt meinem jüngeren Bruder zu, trotzdem Groß- und Klein-Haldern Primogenitur sind; ich werde den Verzicht gerichtlich aussprechen. Nur ein Pflichtteil erbitt ich mir, um das Nötigste durchführen zu können. Und nun noch einmal, willst du mein Fürsprecher sein, der wenigstens das Schmerzlichste von mir abwendet und mir für die Zukunft, und wenn es die fernste wäre, die Möglichkeit einer Versöhnung offenhält?«
Der alte Graf schüttelte den Kopf.
»Also nein. Und auch
das
ist gut, weil es etwas Bestimmtes ist. Ich danke dir, daß du mich angehört und mich mit Standesredensarten und vor allem auch mit jenem französischen Worte, das bei solchen Gelegenheiten in unseren Kreisen gang und gäbe ist, verschont
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