Stine
›Noblesse oblige‹ durch die Welt zieren. Jammervoll. Wohin man sieht, hat man sich zu schämen. Und doch muß etwas geschehen, und wenn meine Schuld noch zehnmal größer wäre.«
Bei diesen Worten zog er die Klingelschnur. »Eine Droschke, Johann.« Und während dieser sich nach dem nächsten Halteplatz aufmachte, machte der alte Graf Toilette, sorglich und vor dem Spiegel, aber doch mit der Raschheit eines alten Militärs.
Eine halbe Stunde später hielt die Droschke vor dem Eingange zum Invalidenpark. Der alte Graf stieg aus und ging, über den Damm fort, auf das ihm wohlbekannte Haus zu, das im grellen Scheine der Mittagssonne wie ausgestorben dalag. Pauline stand am Fenster und erkannte den Grafen, als er hastigen Schrittes auf ihre Wohnung zusteuerte. »Jott«, sagte sie, »nu schon bei Dage!« Dabei rückte sie aber doch den Kragen zurecht und warf ihre Küchenschürze hinter den Ofen. Und jetzt hörte sie's klingeln.
»Mama zu Haus?«
Olga wollte »nachsehen«, aber der Graf war nicht in der Laune, sich auf seinem eigensten Territorium allerlei lächerlichen Anmeldeförmlichkeiten zu unterwerfen, und trat also, während er Olga folgte, gleichzeitig mit dieser in das Vorderzimmer ein.
»Guten Tag, Witwe.«
Die Pittelkow sah, daß er schlechter Laune war, und erwiderte deshalb, ohne sich von ihrer Fensterstelle zu rühren, im gleichgültigsten Tone: »Guten Tag, Graf... Eine schmähliche Hitze...«
Der alte Graf bezeugte keine Lust, sich in ein Wettergespräch einzulassen, warf sich vielmehr ohne weiteres ins Sofa und sagte, während er sich mit dem Taschentuch etwas frische Luft zufächelte: »Komme heut in einer ernsten Sache, Pauline. Was ist das mit der Stine?«
»Mit Stine?«
»Ja. Sie hat da mit meinem Neffen angebändelt. Und nun ist er verrückt geworden und will sie heiraten. Und wer ist schuld daran?
Du
, Pauline. Du hast mir dies eingebrockt. Du, nur du. Stine macht nicht drei Schritte, geht nicht von hier bis ans Fenster, ohne dich zu fragen; sie hat nie was andres getan, als was du gewollt oder gutgeheißen hast, und auf dich fällt dieser Skandal. Ich frage dich, ob ich Anspruch auf solche Behandlung habe? Nun, wir wollen sehen, was wird. Wolle
du
, was du willst,
ich
will, was ich will. Die Welt ist verrückt genug geworden, aber so weit sind wir noch nicht, daß die Häuser Haldern und Pittelkow Arm in Arm ihr Jahrhundert in die Schranken fordern. Nein, Pauline. Solchen Unsinn verbitt ich mir, und was ich von dir fordre, ist das, daß du dieser Kinderei ein Ende machst.«
»Kann ich nicht.«
»Weil du nicht willst.«
»Oh, ich will schon. Ich
habe
schon gewollt, gleich als ich die Geschichte kommen sah. Es ist ein Unglück für meine Stine.«
»Was?«
»Es is ein Unglück für meine Stine. Ja, Graf. Oder denken Sie, daß ich so dumm bin, so was für 'n Glück zu halten? Ach, du meine Güte, da sind der Herr Graf mal wieder aus Irrland, un ganz gehörig. Und nu hören Sie mal ein bißchen zu. Hier drüben wohnt ein Schlosser, ein Kunstschlosser, und hat 'nen Neffen, einen allerliebsten Menschen, der bei den ›Maikäfern‹ gestanden – aber jetzt is er wieder ins Geschäft. Nu, der war letzten Sommer immer um die Stine rum, un wenn
der
das Mächen nimmt, dann geh ich nächsten Sonntag in 'n Dom oder zu Büchseln und weine mir aus und danke dem lieben Gott für seine große Guttat un Gnade, was ich nu schon eine gute Weile
nich
gedan habe. Ja, Graf, so steht es. Mein Stinechen ist kein Mächen, das sich an einen hängt oder mit Gewalt einen rankratzt, Graf oder nich, un hat's auch nich nötig. Die kriegt schon einen. Is gesund un propper un kein Untätchen an ihr, was nich jeder von sich sagen kann. He?«
»Komme mir nicht damit. Das sind Ausweichungen und Redensarten, bloß um von der Sache loszukommen. Darum handelt sich's nicht. Untätchen! Was heißt Untätchen? Ich habe der Stine nichts auf den Leib geredt, ich weiß, sie ist ein gutes Kind. Aber was soll das mit deinem ›Untätchen‹ und ›was nicht jeder von sich sagen kann‹. Meinst du
mich
? Meinetwegen. Mir tut's nichts; ich bin drüber weg. Aber du meinst meinen Neffen, und das reizt mich und ärgert mich, weil's mal wieder deinen schlechten Charakter zeigt. Oder wenn nicht deinen schlechten Charakter, so doch, daß du hart bist und ohne rechte Güte. Was soll das mit dem anzüglichen Vorwurf und deinem spöttischen Gesicht dabei? Waldemar ist ein armer, unglücklicher Mensch und kann freilich keinen Degen
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