Stirb ewig
dass Sandy tot war, ihre Stimme auf dem Anrufbeantworter zu löschen, ihre Kleider aus dem Schrank und die Sachen aus dem Badezimmer zu entfernen, kurzum, nicht mehr in einem Schrein für Sandy zu leben, sondern einen Neuanfang zu wagen.
Doch wie sollte das gehen? Wenn Sandy nun am Leben war und von einem Irren gefangen gehalten wurde? Er musste weitersuchen, die Akten offen lassen, ihre Fotos überarbeiten, jedes Gesicht mustern, das er auf der Straße oder in einer Menschenmenge sah. Er würde weitermachen, bis…
Bis zum Schluss.
Am Morgen seines neunundzwanzigsten Geburtstags hatte Sandy ihm ein Tablett ans Bett gebracht, auf dem sich ein winziger Kuchen mit einer Kerze, ein Glas Champagner und eine ausgesprochen schweinische Glückwunschkarte befanden. Er hatte die Geschenke ausgepackt, sie hatten miteinander geschlafen. Er war etwas später als sonst, um Viertel nach neun, aus dem Haus gegangen, und um kurz nach halb zehn im Büro erschienen, wodurch er zu spät zu einer Besprechung in einem Mordfall kam. Er hatte Sandy versprochen, zeitig Feierabend zu machen, weil sie mit einem anderen Paar – seinem besten Freund, dem Ermittler Dick Pope, und dessen Frau Leslie, mit der Sandy sich gut verstand – essen gehen wollten. Leider wurde es ein hektischer Tag, und er kam fast zwei Stunden später als geplant nach Hause. Keine Spur von Sandy.
Zuerst hatte er gedacht, sie sei wütend auf ihn und wolle ihm eins auswischen. Das Haus war aufgeräumt, ihr Auto und ihre Handtasche waren weg, es gab keine Anzeichen eines Kampfes.
Vierundzwanzig Stunden später fand man ihren Wagen auf dem Kurzzeitparkplatz am Flughafen Gatwick. Ihre Kreditkarte war am Morgen ihres Verschwindens zweimal belastet worden: £ 7,50 bei Boots, £ 16,42 an der Tankstelle des örtlichen Tesco-Supermarktes. Sie hatte weder Kleidung noch sonst etwas mitgenommen.
Seine Nachbarn in der ruhigen Wohnstraße nahe des Strandes hatten nichts bemerkt. Auf einer Seite wohnte eine überaus freundliche griechische Familie, die in der Stadt einige Cafés besaß, zurzeit jedoch verreist war. Auf der anderen Seite lebte eine ältere, schwerhörige Witwe, die bei laut plärrendem Fernseher schlief. Selbst jetzt, um Viertel nach drei, konnte er durch die Trennwand zwischen den Doppelhaushälften die Geräuschkulisse eines amerikanischen Fernsehkrimis hören. Schüsse, quietschende Reifen, jaulende Sirenen. Sie hatte nichts gesehen.
Noreen Grinstead von gegenüber war die einzige, die etwas hätte bemerken können. Eine scharfäugige, nervöse Frau Mitte sechzig, die über sämtliche Nachbarn Bescheid wusste. Wenn sie sich nicht gerade um ihren Mann Lance kümmerte, dessen Alzheimer-Erkrankung sich laufend verschlimmerte, lief sie in gelben Gummihandschuhen herum und wusch ihren alten silbernen Nissan, spritzte und schrubbte den Gehweg ab oder putzte die Fenster. Sie schleppte sogar Sachen aus dem Haus, um sie in der Einfahrt zu reinigen.
Ihren Blicken entging nur wenig. Doch selbst sie hatte Sandys Verschwinden nicht bemerkt.
Er schaltete das Licht ein und stand auf, wobei sein Blick auf das Foto von sich und Sandy fiel, das auf seinem Nachttisch stand. Es war nur wenige Monate vor ihrem Verschwinden, bei einer Konferenz zum Thema genetische Fingerabdrücke in Oxford aufgenommen worden. Er rekelte sich in Anzug und Krawatte auf einer Chaiselongue. Sandy mit Abendkleid und blonden Ringellocken lehnte sich an ihn und schenkte dem Kellner, der das Foto gemacht hatte, ihr übliches unwiderstehliches Grinsen.
Er hob das Foto hoch, küsste es und stellte es wieder hin. Er ging ins Bad, um Wasser zu lassen. Mitten in der Nacht aufstehen und pinkeln zu müssen war ein lästiger Nebeneffekt, seit er einem Gesundheitsplan folgte und täglich mindestens acht Gläser Wasser trank. Dann tappte er, nur im T-Shirt, nach unten.
Sandy hatte einen guten Geschmack. An sich war das Haus bescheiden wie alle Häuser in der Straße, Pseudo-Tudor-Stil, vier Zimmer, in den dreißiger Jahren erbaut, aber sie hatte es schön eingerichtet. Sie liebte die Sonntagsbeilagen, Frauen- und Designmagazine, riss Seiten heraus und zeigte sie ihm. Sie verbrachten Stunden damit, Tapeten abzulösen, Böden zu schmirgeln, zu polieren und zu streichen.
Sandy interessierte sich für Feng Shui und legte einen kleinen Wassergarten an. Füllte das Haus mit Kerzen. Kaufte so oft wie möglich Biokost. Sie dachte über alles nach, stellte alles in Frage, interessierte sich für alles, und er fand es
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