Stirb ewig
fröhlich: »Ein Motorradfahrer, den wir gestern obduziert haben. Hat einen Lkw überholt und den Stahlträger übersehen, der seitlich herausragte – der Kopf war säuberlich abgetrennt.«
»Wie kann es sein, dass du nicht den Verstand verlierst?«
»Wer sagt denn, dass ich ihn noch habe?«, erwiderte sie grinsend.
»Ich weiß wirklich nicht, wie du deine Arbeit schaffst.«
»Nicht die Toten fügen anderen Schaden zu, Roy, sondern die Lebenden.«
»Gutes Argument.« Er fragte sich, was sie von Geistern halten mochte, doch war dies nicht der richtige Zeitpunkt für ein derartiges Gespräch.
Im Raum war es kalt. Das Kühlsystem summte, über ihnen klickte eine defekte Neonlampe. »Wen möchtest du zuerst sehen?«
»Das ist egal.«
Cleo trat zur Tür Nr. 4 und öffnete sie. Ein Schwall eisiger Luft drang heraus, doch war es nicht die Kälte, die Grace erschauern ließ, sondern es waren die vier menschlichen Gestalten, die sich unter den weißen Plastikhüllen abzeichneten. Sie lagen auf Metallablagen, die mit Rollen versehen waren.
Die Leichenbeschauerin schob die Hebebühne heran, fuhr sie hoch, zog eine Ablage heraus und schloss die Tür. Dann senkte sie die Bühne und zog die Plastikhülle weg. Ein fleischiger Mann, lange Haare, wachsweißer Körper, das Gesicht mit Blutergüssen und Risswunden übersät, die Augen weit geöffnet, trotz glasiger Starre noch vom Schock gezeichnet, der Penis geschrumpft und schlaff in seinem Nest aus Schamhaar. Der Name lautete Robert Houlihan.
Grace konzentrierte sich auf die Hände des jungen Mannes. Große, grobe Hände mit äußerst schmutzigen Nägeln. »Hast du alle Kleidungsstücke hier?«
»Ja.«
»Gut.« Er bat Tindall, Kratzproben von den Nägeln zu nehmen.
Der Erkennungsdienstler wählte ein scharfes Instrument, bat Cleo um einen Probenbeutel, kratzte sorgfältig etwas Schmutz unter den Nägeln hervor und in den Beutel, etikettierte und versiegelte ihn.
Die Hände von Luke Smithson waren stark gequetscht, die Nägel abgebissen, doch fanden sich außer Blut keine sichtbaren Spuren darunter. Auch Josh Walkers Hände waren sauber, die von Pete Waring hingegen schmutzig, und Tindall nahm auch hier einige Kratzproben.
Dann untersuchten er und Grace die Kleidungsstücke. Alle Schuhe waren voller Schlamm, von dem sich auch diverse Spuren an den Kleidern von Robert Houlihan und Pete Waring fanden. Tindall tütete sämtliche Proben einzeln ein.
»Fährst du jetzt damit ins Labor?«
»Eigentlich wollte ich nach Hause – wäre nett, meinen Schatz noch zu sehen, bevor das Wochenende vorbei ist. Mal so tun, als hätte man tatsächlich ein Privatleben.«
»Joe, ich sage das äußerst ungern, aber du musst wirklich sofort damit anfangen.«
»Na super! Soll ich etwa meine Karten für U2 zurückgeben, für die ich fünfzig Mäuse bezahlt habe? Mein Date sausen lassen und samt Schlafsack in den Büroschrank ziehen?«
»U2 – sie ist wirklich jung, was?«
»Ja, und soll ich dir noch was sagen, Roy? Sie geht schnell in die Luft. Ein ganz heikler Fall.«
»Es geht um ein Menschenleben.«
Mit wachsendem Zorn sagte Tindall: »Das Geld für die Karten kriege ich aus deinem Budget.«
»Es ist nicht mein Fall, Joe.«
»Ach so – wessen denn dann?«
»Glenn Bransons.«
»Und wo zum Teufel steckt er?«
»Auf einer Geburtstagsparty in Solihull.«
»Wird ja immer schöner.«
Als sie vor den Spinden standen, zog Tindall die Handschuhe aus. »Ich wünsch dir einen beschissenen Abend, Roy – und nächstes Mal kannst du jemand anderem das Wochenende ruinieren.«
»Ich komme und leiste dir Gesellschaft.«
»Vergiss es.«
Tindall knallte die Tür hinter sich zu. Kurz darauf hörte Grace einen Motor wütend aufheulen. Dann bemerkte er, dass der Erkennungsdienstler vor lauter Empörung den schwarzen Müllbeutel mit seinen Beweismitteln vergessen hatte. Es hatte wenig Sinn, ihm nachzulaufen. Besser, er brachte ihm die Sachen ins Labor, bis dahin hatte Tindall sich hoffentlich wieder beruhigt. Grace verstand seinen Zorn, er hätte sich in seiner Lage ähnlich verhalten.
Er nahm noch einen Keks, trank seinen kalten Tee aus und schnappte sich den schwarzen Beutel. Cleo begleitete ihn zur Tür. Er wollte schon hinaus in den Regen treten, drehte sich aber noch einmal um.
»Wann machst du heute Feierabend?«
»Mit etwas Glück in einer Stunde – falls kein Toter mehr dazwischenkommt.«
Grace schaute sie an. Sie war unglaublich reizvoll – und trug keinen Ehering. Natürlich
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