Stirb ewig
unversehrt und friedlich aussehen zu lassen, wenn Verwandte oder andere ihnen nahe stehende Menschen kamen, um sie zu identifizieren. Manchmal gelangte jedoch auch sie an ihre Grenzen.
Sie gingen in den kleinen, mit Teppich ausgelegten Identifizierungsraum, den eine silberne Vase mit Plastikblumenstrauß schmückte und der auch als überkonfessionelle Kapelle für Menschen diente, denen die Religion Trost spendete. Grace schaute durch das Ansichtsfenster und stellte fest, dass Cleo auch diesmal ganze Arbeit geleistet hatte.
Der junge Mann lag auf dem Rücken, den Kopf auf ein Plastikkissen gebettet, das geschickt den eingeschlagenen Hinterkopf verbarg. Cleo hatte Gesicht und Hände gereinigt, das Haar gerichtet und die Kleider geordnet. Ohne die alabasterweiße Haut hätte er durchaus irgendein junger Typ sein können, der seinen samstäglichen Rausch ausschlief.
»Emma-Jane ist hinter den Gesprächsnachweisen her«, berichtete Nick Nicholas.
»Wir müssen vorher entscheiden, in welche Richtung wir ermitteln«, sagte Grace mit einem Blick auf die Leiche. »Erst mal abwarten, ob das hier wirklich unser Mann ist.« Von fern hörte er die Türklingel.
»Wir werden es gleich herausfinden«, sagte Cleo im Hinausgehen.
Sie führte eine aschfahle Gill Harrison herein. Ashley Harper hielt mit versteinertem Gesicht ihre Hand. Michael Harrisons Mutter sah aus, als käme sie von der Gartenarbeit: zerzaustes Haar, schmuddelige Windjacke über einem weißen T-Shirt, braune Synthetikhose und ramponierte Pantoffeln. Ashley hingegen wirkte mit ihrem marineblauen Kostüm und der weißen gestärkten Bluse wie aus dem Ei gepellt.
Die Frauen nickten Grace schweigend zu, worauf er beiseite trat. Er beobachtete aufmerksam, wie Cleo sie an das Fenster führte, kurz mit den Frauen sprach und dabei genau die richtige Mischung aus Mitgefühl und beruflicher Distanz fand. Je mehr er von ihr sah, desto besser gefiel sie ihm.
Gill Harrison sagte etwas und wandte sich schluchzend ab.
Ashley schüttelte den Kopf und drehte sich ebenfalls weg, wobei sie der Mutter ihres Verlobten tröstend den Arm um die Schultern legte.
»Sind Sie absolut sicher, Mrs Harrison?«, fragte Cleo.
»Das ist nicht mein Sohn«, schluchzte sie. »Das ist nicht Michael.«
»Es ist wirklich nicht Michael«, bestätigte Ashley und kam zu Grace herüber. »Ganz sicher nicht.«
Er spürte, dass die Frauen die Wahrheit sagten. Gill Harrisons Erregung war verständlich, doch hätte er bei Ashley Harper eigentlich etwas mehr Erleichterung erwartet.
61
ZWEI STUNDEN SPÄTER saßen Grace, Glenn Branson, der soeben aus Solihull zurückgekehrt war, Nick Nicholas, Bella Moy und Emma-Jane Boutwood in dem Arbeitsbereich, den man der Soko Salsa zugewiesen hatte.
Grace lächelte die neu hinzugekommene Emma-Jane ermutigend an. Sie war schlank und attraktiv, mit einem wachsamem Gesicht und blondem Pagenkopf. Dann las er ihnen den Bericht vor, den er nach dem Besuch im Leichenschauhaus diktiert und den Emma-Jane soeben geschrieben hatte. Er pflegte bei seinen Ermittlungen gern alles zur Diskussion zu stellen und zusammen mit den Kollegen zu überprüfen.
»Uhrzeit sechzehn Uhr fünfzehn, Sonntag, 29. Mai«, las er vor. »Dies ist der erste Zwischenbericht der Soko Salsa. Wir ermitteln im Fall des Verschwindens einer neunundzwanzigjährigen Person, männlich, Name Michael Harrison. Es ist Tag fünf danach. Ich fasse die bisherigen Ereignisse zusammen.«
Einige Minuten lang trug er die Zusammenfassung vor und ging dann zu den möglichen Verdächtigen über. »Zurzeit liegen uns keine Beweise für ein Verbrechen vor. Dennoch habe ich meine Zweifel bei Michael Harrisons Geschäftspartner Mark Warren und seiner Verlobten Ashley Harper. Auch erscheint mir Ashleys Onkel aus Kanada mit Namen Bradley Cunningham fragwürdig, denn mir scheint, dass er nicht der ist, der zu sein er vorgibt.«
Er trank einen Schluck Wasser. »Ressourcen. Die East Downs Division hat uns personelle Verstärkung angeboten. Wir begannen mit einer Suche in der näheren Umgebung des Unfalls, der sich am vergangenen Dienstag ereignete, und haben die Suche in den letzten Tagen ständig ausgeweitet. Ich ziehe nun die Tauchereinheit der Sussex Police hinzu und werde sämtliche Flüsse, Seen und Wasserbecken in der Umgebung absuchen lassen. Auch haben wir weitere Hubschrauberflüge angefordert – die Sicht hat sich durch die veränderten Wetterbedingungen beträchtlich gebessert.«
Er ging die
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