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Stirb ewig

Titel: Stirb ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter James
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Tindall, ebenfalls in weißem Schutzanzug und Stiefeln, drehte sich mit einer großen Kamera zu ihm um.
    »Hi! Tolles Wochenende«, begrüßte Grace den Kollegen.
    »Gilt wohl für uns beide«, meinte Tindall und deutete auf das Unterholz. »Meine Mutter wollte immer, dass ich Buchhalter werde.«
    »Ich habe dich nie für einen Erbsenzähler gehalten.«
    »Buchhalter haben immerhin ein Privatleben.«
    »Aber was für eins?«
    »Eins, in dem sie ihre Sonntage zu Hause bei Frau und Kindern verbringen.«
    »Alle Eltern, die ich kenne, können es gar nicht abwarten, ihre Kinder am Wochenende loszuwerden«, sagte Grace. »Vor allem sonntags.« Er klopfte Tindall auf die Schulter. »Was des einen Himmel, ist des anderen Hölle.«
    Tindall zeigte auf die Leiche, die im Unterholz kaum zu erkennen war. »Der hat jedenfalls keinen schönen Sonntag gehabt.«
    Grace ging zu der Leiche hinüber, um die eine Wolke von Schmeißfliegen summte. Churchman, der Pathologe, ein gut aussehender sportlicher Typ mit jungenhaftem Gesicht, kniete daneben und hielt einen kleinen Kassettenrekorder in der Hand.
    Ein leicht übergewichtiger junger Mann, kurzes blondes Stachelhaar, kariertes Hemd, Schlabberjeans, braune Stiefel. Er lag auf dem Rücken, den Mund aufgerissen, die Augen geschlossen, die Haut weiß wie Wachs. Im rechten Ohr trug er einen kleinen Ohrring. Das runde Gesicht, wie eingefroren im Tod, sah jugendlich aus.
    Grace versuchte, sich an die Fotos von Michael Harrison zu erinnern. Die gleiche Haarfarbe, ähnliche Züge, aber er hatte attraktiver gewirkt. Dennoch, das Gesicht konnte sich durch den Tod beträchtlich verändern, wenn sich die Haut zusammenzog und das Blut eintrocknete.
    Nigel Churchman sah zu ihm auf. »Wie geht’s, Roy?«
    »Alles klar. Und bei dir?«
    Der Pathologe nickte.
    »Was haben wir hier?«
    »Weiß ich noch nicht genau.« Er hob mit gummiverhüllten Händen behutsam den Kopf des jungen Mannes an. Grace schluckte, als ein Dutzend Fliegen ärgerlich davon stob. Im Hinterkopf war eine tiefe, unregelmäßige Einbuchtung zu erkennen, darüber verfilztes, blutverkrustetes Haar.
    »Ein heftiger Schlag mit einem stumpfen Gegenstand«, erklärte Churchman und fügte mit trockenem Humor hinzu. »So was kann sehr ungesund sein.«
    »Du wirst auch immer abgebrühter.«
    Churchman grinste breit und nahm es als Kompliment. »Und du hörst dich an wie meine Frau.«
    »Ich dachte, du bist geschieden?«
    »Bin ich auch.«
    Grace schaute wieder auf den Toten hinunter, betrachtete ihn aufmerksam, musterte Gesicht, Kleidung, die billige Uhr mit dem noch billigeren Plastikband. Das grüne Flechtarmband am rechten Handgelenk. Er wischte weitere Fliegen vom Gesicht der Leiche. Ja, sie befand sich eindeutig am richtigen Ort, doch war das wirklich Michael Harrison?
    »Hatte er nichts bei sich? Kreditkarte, Papiere?«
    »Nichts gefunden.«
    Grace fragte sich, ob man so zu einem Junggesellenabschied ging. Er hatte Michael Harrison stilvoller in Erinnerung. Der Typ vor ihm sah eher schäbig aus. Dennoch sollte er nicht mit eingeschlagenem Schädel hier liegen und von Schmeißfliegen belästigt werden.
    »Eine Ahnung, wie lange er schon hier ist?«
    Churchman richtete sich zu voller Größe auf. »Schwer zu sagen. Jedenfalls nicht sehr lange. Keine Anzeichen von Larvenbefall der ersten Generation, keine Hautverfärbungen – bei dem Klima hätten wir nach wenigen Tagen bereits einen fortgeschrittenen Verwesungsprozess. Er liegt höchstens vierundzwanzig Stunden hier, vermutlich weniger.«
    In Grace brodelte es, er dachte an all die jungen Männer zwischen zwanzig und dreißig, die in den letzten Wochen vermisst gemeldet worden waren. Er kannte die Statistik nur all zu gut. Allein in England wurden Jahr für Jahr zweihundertfünfzigtausend Menschen vermisst, von denen ein Drittel nie wieder auftauchte. Einige waren tot, und man hatte ihre Leichen so entsorgt, dass sie nie gefunden wurden. Manche waren weggelaufen und hatten sich geschickt den Bemühungen der Polizei entzogen. Andere wiederum waren nach Übersee gegangen und hatten eine neue Identität angenommen.
    Er selbst erlebte immer nur eine Variante der Ermittlungen, nämlich die, dass Personen unter fragwürdigen Umständen ums Leben gekommen waren. Fälle, die von der Polizei untersucht wurden, und von denen wiederum nur ein winziger Teil, den er selbst noch einmal überprüfte.
    Der zeitliche Rahmen passte. Das Aussehen einigermaßen. Einigermaßen. Aber es gab nur einen

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