Stirb, Schätzchen, Stirb
wahrscheinlich recht. Sie stehen gern im Mittelpunkt, nicht wahr, Marnie? All die Jahre mussten Sie das kleine graue Mäuschen spielen. Gegenüber den Cops, den Leuten vom Jugendamt und dann auch noch Trudy. Zwischendurch sind Sie mal ausgebrochen und haben sich im Rahmen Ihrer Möglichkeiten am System gerächt. Das hat Ihnen nie genügt, aber Sie sind clever, und als sich Ihnen plötzlich die Gelegenheit geboten hat, die Sache richtig durchzuziehen, haben Sie sie genutzt.«
»All das denken Sie sich doch nur aus, weil Sie einfach nicht wissen, was geschehen ist.«
»Ich weiß es sogar ganz genau. Ich bewundere Sie, Marnie, ich bewundere Sie sogar sehr. All die Planung, all die Schauspielerei. Sie wissen wirklich, wie man eine Show abzieht. Kein Wunder, dass sie Ihnen auf den Leim gegangen ist. Dann ist sie auch noch hierhergekommen, um mich über den Tisch zu ziehen, und hat sich, wie schon früher, absichtlich selber Schaden zugefügt, damit sie es jemand anderem in die Schuhe schieben kann. Ohne das hätten sie vielleicht noch Monate die brave, kleine Ehefrau und die süße, kleine Schwiegertochter spielen müssen, bevor sich Ihnen die Gelegenheit geboten hätte, einen Schlussstrich zu ziehen. Los, Marnie.« Eve beugte sich ein wenig vor. »Sie wollen es mir doch erzählen. Wer würde Sie wohl besser verstehen als jemand, der selbst unter dem Weib gelitten hat? Hat sie Sie auch gezwungen, jeden Abend kalt zu baden? Hinter ihr herzuwischen? Wie oft hat sie Sie im Dunkeln eingesperrt und Ihnen erzählt, Sie wären ein Nichts?«
»Weshalb interessiert Sie, was mit ihr passiert ist?«, fragte Marnie leise.
»Wer sagt denn, dass es mich interessiert?«
»Ich glaube nicht, dass Sie etwas gegen mich in der Hand haben. Diese Sachen?« Sie zeigte auf die Tüte mit der Handtasche und dem Parfüm. »Die hat mir Mama Tru geschenkt. Sie hat mich geliebt.«
»Sie hat auf der ganzen Welt nie auch nur eine Menschenseele außer sich selbst geliebt. Aber vielleicht können Sie ja den Geschworenen einreden, dass es so war. Was meinen Sie, Peabody?«
Peabody spitzte nachdenklich die Lippen. »Sie ist wirklich nicht schlecht, vor allem, wenn sie auf die Tränendrüse drückt. Aber wenn man die ganze Geschichte hört, dürften ihre Chancen merklich sinken. Wissen Sie, Lieutenant, schließlich hat sie extra eine falsche Identität angenommen und sich regelrecht auf die Lauer gelegt.« Peabody zuckte mit den Schultern. »Vielleicht sogar mit dem Ziel, Trudy zu ermorden. Mann, wenn die Geschworenen hören, dass sie den Sohn des Opfers geheiratet hat, um in eine Position zu gelangen, aus der heraus sie ihre ehemalige Pflegemutter umbringen kann. Das ist wirklich eiskalt. Und dann ist da noch das ganze Geld, vielleicht war ihr Motiv also ganz gewöhnliche Gier. Dafür kriegt sie garantiert rund um die Uhr, und zwar in irgendeinem Hochsicherheitsknast. Das ist richtig hart.«
Sie sah Marnie an. »Vielleicht können Sie uns ja davon überzeugen, dass der Mord nicht geplant war. Vielleicht können Sie uns ja glaubhaft versichern, dass es Notwehr war. Solange wir noch auf Ihrer Seite sind.«
»Vielleicht sollte ich einen Anwalt anrufen.«
»Meinetwegen.« Eve stieß sich vom Tisch ab. »Mir ist das egal, denn mir reichen die Beweise völlig aus. Wenn Sie einen Anwalt wollen, Marnie, ist das Ihr gutes Recht. Aber sobald Sie telefonieren, nehmen mein Mitgefühl und meine Bewunderung natürlich merklich ab. Haben Sie einen Namen?«, fragte sie. »Oder wollen Sie einen Pflichtverteidiger?«
»Warten Sie. Moment.« Marnie griff nach ihrer Limonade und nahm einen vorsichtigen Schluck. Dann stellte sie die Dose wieder auf den Tisch und bedachte Eve mit einem Blick, der nicht mehr arglos, sondern durch und durch berechnend war. »Was, wenn ich Ihnen erzähle, dass sie Sie und Ihren Mann fertigmachen wollte und dass ich sie daran gehindert habe? Das ist doch sicher etwas wert.«
»Sicher ist es das. Aber darüber reden wir später.« Eve nahm wieder Platz. »Erst mal sollten Sie mir erzählen, wie alles abgelaufen ist. Warum fangen Sie nicht einfach ganz von vorne an?«
»Warum nicht? Weiß Gott, schließlich lagen Sie mit Ihrer Vermutung völlig richtig, dass mir die Rolle der Zana allmählich total stinkt. Sie haben meine Akte vor sich? Die Jugendstrafen und das ganze andere Zeug?«
»Ja.«
»Das ist nicht die ganze Geschichte. Sie wissen, wie diese Dinge laufen. Ich wurde schon als Kind ständig herumgeschubst.«
»Ich habe Ihre
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