Stirb
abgerutscht. Lara schrie vor Schmerz, als sich die Klinge in ihr Fleisch bohrte und sie es mit letzter Kraft schaffte, ihm den Elektroschocker in die Seite zu rammen. Funken zischten durch die Dunkelheit, bevor ihr Peiniger das Messer endlich fallen ließ und ächzend in sich zusammensank.
Mit aller Gewalt rüttelte Lara am Türgriff. Doch wie zuvor waren ihre Mühen umsonst. Das Herz klopfte Lara bis zum Hals, als sie sich nach dem Mann umsah, der wie ein schlaffer Sack auf dem Sitz hing. Das Gesicht von der Kappe verschattet. Sie war sich nicht sicher, ob er tatsächlich weggetreten war – dennoch führte der einzige Weg aus diesem gottverdammten Taxi an ihm vorbei. Verdammt, wo ist sein Messer? Laras Augen schnellten durch den Wagen, doch es war zu dunkel, um irgendetwas zu erkennen. Sie nahm all ihren Mut zusammen und versuchte, mit dem Elektroschocker in der Hand über den Schoß des Mannes zu klettern.
Unmengen von Adrenalin schossen durch ihre Adern, während sie sich ganz vorsichtig an den erschlafften Gliedmaßen des Mannes vorbeizwängte. Lara erlaubte sich kaum noch zu atmen, bevor sie endlich die Tür erreichte, sich mit aller Kraft dagegenstemmte und es ihr schließlich gelang, sich aus dem Taxi zu befreien.
Schmerzerfüllt hielt sie sich die Schulter und stolperte orientierungslos durch das düstere Hafengebiet.
Es dauerte eine Zeitlang, ehe sie zurück zu dem Pfad fand, auf dem sie gekommen waren. Lara zwang sich, nicht zurückzuschauen und immer weiterzulaufen, als sie plötzlich stehen blieb. Meine Handtasche! In der Tasche waren ihre Hausschlüssel, ihr Handy und ihr Portemonnaie mit ihrem Ausweis und all ihren Personalien! Warmes Blut strömte ihr über die Finger, während sie zurück in die Richtung sah, aus der sie gekommen war. Kurz haderte sie mit sich. Aber schließlich verwarf sie den Gedanken, noch einmal zurückzulaufen, und schleppte sich keuchend weiter. Nach einer Weile, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, erkannte sie endlich die Lichter einer Tankstelle, an der sie Minuten später kraftlos zusammenbrach.
***
Samstagmittag, 4. Juni …
Eine grauenvolle Nacht lag hinter Lara. Der Schock der Ereignisse steckte ihr noch tief in den Knochen, und bei jeder Bewegung spannte und schmerzte die frische Naht an ihrer Schulter. Noch während sie in T-Shirt und Jeans mit Emma beim Frühstück saß, verfluchte sie sich dafür, dass sie sich von dem Arzt in der Charité nicht doch die stärkeren Schmerztabletten hatte verschreiben lassen.
Wie so oft hatte sie im Wohnzimmer gedeckt. Der Anblick von Raffaels leerem Platz am Küchentisch – sie konnte ihn noch immer nicht ertragen. Sie bestrich eine Scheibe Toast mit Butter, während ihre Augen über die Schlagzeilen der auf dem Tisch ausgebreiteten Berliner Zeitung wanderten. Erleichtert stellte sie fest, dass der Überfall auf sie mit keinem Wort erwähnt wurde.
Ein Skandal war das Letzte, was sie so kurz vor der Eröffnung des Cafés gebrauchen konnte.
Sie nippte an ihrem Kaffee und schaute gedankenverloren zu Emma, die vor dem Fernseher saß und beiläufig die Rosinen aus ihrer Schale Müsli pickte. Für gewöhnlich blieb die Flimmerkiste um diese Zeit aus, doch Lara hasste es, ihre Tochter anzulügen – und solange Emma selbstvergessen die Zeichentricksendungen im Kinderkanal verfolgte, würde sie wenigstens keine Fragen mehr zu Mamis Schulterverband stellen.
Lara schob die Zeitung beiseite und sah die Post durch. Rechnungen. Eine Einladung zu einer Vernissage. Prospekte. Und noch mehr Rechnungen. Doch sosehr sie sich auch bemühte, wieder Alltag einkehren zu lassen, überall tauchten die Buchstaben A. N. G. S. T. vor ihren Augen auf . Ein Gefühl, das sie auf keinen Fall zulassen wollte.
Sie hatte sich zur Wehr gesetzt. Sie war kein Opfer, redete Lara sich ein, als es im nächsten Moment an der Tür klingelte. Beunruhigt schaute Lara auf. Sie erwartete niemanden. Wie immer sprang Emma auf, um als Erste an der Tür zu sein.
»Schon gut, Schatz, setz dich wieder hin, heute geht Mami.« Lara stand auf und ging zur Tür. »Wer ist da?«, fragte sie durch die Gegensprechanlage.
Keine Antwort.
»Hallo?«
Wieder nichts.
»Mami, wer ist denn da?«, wollte Emma wissen, die ungeduldig neben der Tür stand.
»Niemand, Schatz, bestimmt nur Werbung.«
Plötzlich klopfte es oben an der Wohnungstür.
»Frau Simons?« Eine Männerstimme drang dumpf durch die Tür. »Sind Sie zu Hause?«
Lara warf einen Blick durch den Spion. Im
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