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Stoerfall in Reaktor 1

Stoerfall in Reaktor 1

Titel: Stoerfall in Reaktor 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Hänel
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auf seine Uhr zu blicken und sich dabei die Krawatte zurechtzurücken –, parkt hinter ihm ein verbeulter Peugeot mit einem PRESSE -Schild an der Windschutzscheibe. Die Zeitung ist also auch da. Ein junger, blonder Redakteur, in Jeans und Metallica-T-Shirt, und ein Fotograf mit Lederjacke und verspiegelter Sonnenbrille, dem deutlich anzusehen ist, dass er sich seinen freien Sonntag anders vorgestellt hat, steigen aus dem Wagen. Betont gelangweilt schlurft der Fotograf mit seiner Kamera hinter dem Redakteur her und zündet sich dann abwartend eine Zigarette an, als sein Kollege den AKW -Direktor um eine Stellungnahme bittet. Erst als ein weiteres Auto vorfährt und der Bürgermeister aussteigt, wird der Fotograf ein bisschen lebendiger. Er schnippt seine Zigarette auf den Boden und begrüßt den Bürgermeister per Handschlag, dann auch den Direktor. Die beiden scheinen sich schon länger zu kennen, der Redakteur ist jetzt eindeutig abgemeldet und versucht vergeblich, noch eine Frage loszuwerden. Der Fotograf arrangiert den Bürgermeister und Direktor so, dass er ein paar Fotos schießen kann, ohne dass das anklagende Spruchband mit im Bild ist. Als er dann noch ein Kind dazuholt, das dem Direktor die Hand schütteln darf, während der Bürgermeister sich scheinbar interessiert zu ihm hinunterbeugt, glaubt Lukas es langsam nicht mehr. Die ziehen hier irgendeine Show ab, denkt er. Was soll das denn? Die tun glatt so, als ob es hier nur um sie geht!
    Zu allem Überfluss drängen sich jetzt auch noch ein paar der umstehenden Leute ins Bild, um am nächsten Tag vielleicht in der Zeitung zu sein …
    Â»He!« Karlotta zieht Lukas am Arm. »Machen sie gleich auch noch ein Bild von Mama?«
    Â»Keine Ahnung. Doch, bestimmt, pass auf!«
    Der Bürgermeister nickt jovial in die Runde, dann schiebt er sich händeschüttelnd durch die Leute bis zu der kleinen Demonstrantengruppe. Der Direktor bleibt dicht hinter ihm, als wolle er unter allen Umständen vermeiden, dass er den Anschluss verliert und plötzlich alleine dasteht. Lukas beobachtet, wie sich zwei oder drei Männer aus dem Dorf schnell wegdrehen, als der Direktor in ihre Nähe kommt. Sie arbeiten unter Garantie auch im AKW , denkt Lukas, und haben Angst, dass der Direktor sie erkennen könnte.
    Er versteht nicht, was der Bürgermeister zu den Eltern aus der Selbsthilfegruppe sagt, er sieht nur, wie seine Mutter etwas erwidert und der Bürgermeister sich dann kopfschüttelnd an die anderen Leute aus dem Dorf und die neugierigen Touristen wendet. Er hebt die Hand, bis ihm alle zuhören.
    Â»Liebe Leute, ich will Ihre und eure Geduld nicht unnötig strapazieren«, setzt er an, »schließlich ist Sonntag und das Mittagessen wartet auf uns alle. Deshalb nur so viel: Ich verstehe die Sorge der hier anwesenden Eltern nur zu gut, Sie wissen, dass ich ja selbst Vater eines mittlerweile fast erwachsenen Sohnes bin, und … äh … Eltern machen sich immer Sorgen um ihre Kinder, völlig zu Recht, das ist ihre Pflicht, denn wir haben die Verantwortung für die Zukunft unserer Kinder, und diese Verantwortung dürfen wir nicht auf die leichte Schulter nehmen, unsere Kinder sind unsere Zukunft! Umso furchtbarer trifft uns dann alle ein solcher Schicksalsschlag wie …« Er blickt kurz auf das Foto der kleinen Leonie zu seinen Füßen. »… wie jetzt heute im Fall der kleinen Leonie, die ich ja, wie die meisten Anwesenden hier auch, persönlich kenne, und ich kann an dieser Stelle nur mein tiefes Mitgefühl aussprechen und betonen, dass auch mich das nicht unberührt lässt, ganz im Gegenteil, glauben Sie mir! Aber bei aller Trauer und Betroffenheit sollten wir doch nicht plötzlich damit anfangen, uns zusätzlich auch noch von, salopp gesagt, irgendwelchen Panikparolen verunsichern zu lassen. Wer außer Angst – und ich wiederhole, diese Angst ist durchaus verständlich –, aber wer außer Angst keine weiteren Argumente hat, sollte sehr vorsichtig damit sein, gedankenlos irgendwelche Schuldzuweisungen auszusprechen. Vielmehr ist es unser aller Aufgabe, gerade jetzt das Wesentliche nicht aus den Augen zu verlieren. Wendburg ist eine prosperierende Gemeinde, und wenn es nach mir geht, soll das auch so bleiben. Deshalb habt ihr mich zum Bürgermeister gewählt, und ich stehe mit meinem Namen dazu, für eine gute Zukunft für uns alle zu sorgen. Die

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