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Stoerfall in Reaktor 1

Stoerfall in Reaktor 1

Titel: Stoerfall in Reaktor 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Hänel
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Kriegst du eigentlich gar nichts mit?«
    Tatsächlich fahren gerade zwei Jungen auf ihren Fahrrädern in die Richtung, in die Karlotta gezeigt hat. Und Lukas erinnert sich jetzt auch, dass während seines Telefonats noch andere vorbeigekommen sind. Ein alter Mann mit seinem Rollator. Irgendjemand mit einem Hund. Eine Familie, die ihm gerade noch zugewunken hat. Aber er hat gedacht, dass sie wahrscheinlich einen Sonntagsspaziergang machen. Klar, es ist ja auch Sonntag!
    Â»Noch mal ganz langsam«, sagt er zu Karlotta. »Was weißt du, was ich nicht weiß?«
    Â»Mama ist auch da.«
    Â»Moment, ich denke, Mama ist bei … Leonies Mama, hast du das nicht vorhin gesagt?«
    Karlotta zuckt mit der Schulter. »War sie ja auch. Aber nur, um sie abzuholen. Ich hab nämlich alles gehört, was sie am Telefon gesagt hat. Alle Mamas aus der Gruppe sind jetzt da!« Sie zeigt wieder in die Richtung, in der die Hauptstraße aus dem Dorf heraus führt.
    Â»Du meinst, alle Mamas aus der Selbsthilfegruppe?«, fragt Lukas, um endlich zu verstehen.
    Â»Sag ich doch! Sie machen nämlich eine Blockierung oder so was. Weil Leonie gestorben ist. Und weil das blöde Werk da schuld ist.«
    Â»Du meinst …« Lukas fällt es plötzlich wie Schuppen von den Augen. Am Ende der Straße, gleich hinter dem Ort, ist die Abzweigung zum AKW . »Sie machen eine Blockade an der Straße zum AKW ?«
    Â»Eine Demo… Demonsdingsda«, nickt Karlotta. »Und da will ich hin!«
    Â»Eine Demonstration?«, fragt Lukas noch mal. »Sie blockieren die Straße und …«
    Karlotta nickt, fasst eifrig nach seiner Hand und zieht ihn mit sich.

Acht
    Sie sehen die kleine Gruppe von Leuten schon, als sie um die Kurve am Ortsende kommen. Vielleicht fünfzehn oder zwanzig Menschen, die mitten auf der Zufahrt zum AKW stehen. Am Straßenrand parken ein paar Autos, auch ein Streifenwagen mit eingeschaltetem Blaulicht ist darunter. Und wenn Lukas sich nicht sehr täuscht, ist einer der anderen Wagen ein schwarzer Audi. Er kneift die Augen zusammen, um das Spruchband lesen zu können, das jemand hochhält: » WIE VIELE KINDER MÜSSEN NOCH STERBEN ?«
    Karlotta sitzt inzwischen in ihrem Rollstuhl, weil sie dann schließlich doch zu müde zum Laufen geworden ist. Aber jetzt ruft sie aufgeregt: »Da ist Mama! Ich hab sie schon gesehen. Los, weiter!«
    Â»Warte mal«, sagt Lukas und hält den Rollstuhl an. Ihm wird jetzt erst klar, dass seine Mutter bestimmt nicht will, dass er mit Karlotta hier auftaucht. »Das ist nichts für dich«, sagt er und streicht seiner Schwester über die Haare. »Da geht’s um Leonie und …«
    Â»Es geht auch um mich«, unterbricht ihn Karlotta. »Ich hab nämlich dieselbe Krankheit wie Leonie. Und ich will da jetzt hin! Wenn du nicht weiterschiebst, halte ich die Luft an, bis ich blau werde. Und dann kriegst du voll Ärger!«
    Lukas guckt in Karlottas funkelnde Augen und weiß nicht, was er machen soll. Plötzlich bremst ein Fahrrad direkt neben ihm.
    Â»Hammer!«, sagt Jannik. »Ich hab’s gerade erst von Alex gehört. Sein Vater ist schon hierher unterwegs, weil er ja irgendwas machen muss als Bürgermeister. Wahrscheinlich eine Rede halten oder so, um sie alle wieder zu beruhigen. Hammer!«, wiederholt er. »Eine echte Demo! Weißt du, worum es überhaupt geht?«
    Â»Leonie ist gestorben, eins von den Kindern, die an Leukämie erkrankt sind. Die Demo ist von der Selbsthilfegruppe«, erklärt Lukas schnell. »Meine Mutter ist auch dabei. Mehr weiß ich auch noch nicht.« Leise setzt er hinzu: »Hinter dem Polizeiwagen da drüben steht der Audi von den beiden Typen. Glaube ich jedenfalls. Du weißt schon, wen ich meine …«
    Jannik pfeift durch die Zähne. »Alles klar, Mann. Dann geh ich mal besser ein bisschen auf Abstand zu euch.« Er bückt sich, als müsste er die Schnürsenkel von seinem Turnschuh neu binden. Halblaut sagt er dabei: Ȇbrigens ist das Klebeband wieder da. Ich hab’s heute Morgen zufällig gesehen. Es hing an dem Nagel über der Werkbank von meinem Vater, da wo es sonst auch immer ist.«
    Â»Und das … Du weißt schon!«
    Â»Null. Keine Ahnung.«
    Jannik richtet sich auf und sucht in seiner Hosentasche, bis er ein zerdrücktes Päckchen Kaugummi zutage fördert, das er Karlotta hinhält.

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