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Stoerfall in Reaktor 1

Stoerfall in Reaktor 1

Titel: Stoerfall in Reaktor 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Hänel
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»Bitte« vielleicht. Dann fällt die Haustür ins Schloss und er ist weg.
    Eine Stunde später sind sie im Krankenhaus. Lukas hat die ganze Fahrt über hinten neben seiner Schwester gesessen und ihre verschwitzte Hand gehalten. Er hat ihr Geschichten erzählt, irgendwelche Sachen, die er erst beim Reden erfunden hat: Von Räubern, die früher in den Hügeln und Wäldern, die am Autofenster vorbeizogen, gelebt haben. Richtige Räuber, mit Vollbärten und Augenklappen und echten Säbeln und langen Pistolen, die jede Kutsche, die vorbeikam, angehalten und ausgeraubt haben. »Aber den Reisenden haben sie nie etwas getan, sie haben ihnen nur die Knöpfe an ihren Hosen abgeschnitten, damit die sie hinterher nicht verfolgen konnten, weil sie ja die ganze Zeit die rutschenden Hosen festhalten mussten!«
    Und Karlotta hat immer noch mehr hören wollen, als hätte sie genau verstanden, worum es ging: Dass sie bloß nicht darüber nachdenken sollte, was sie im Krankenhaus erwartete.
    Als sie sich zur richtigen Station durchgefragt haben, ist auch Karlottas Ärztin aus Wendburg da, die Lukas gestern auf der Demo gesehen hat.
    Â»Ich muss doch aufpassen, was sie hier mit dir machen«, begrüßt sie Karlotta. Und Karlotta strahlt übers ganze Gesicht, als wäre jetzt alles gut.
    Lukas’ Mutter und die Ärztin reden ein paar Worte miteinander. Lukas sieht sich die Bilder an, die gerahmt an der Wand hängen. Kinderzeichnungen, die meisten mit Wachsmalkreide gemalt: Pferde, Hunde, Katzen, manchmal noch ein Haus dazu, ein Kind, das Vater und Mutter an den Händen hält. Auf einem Bild ist ein Krankenwagen, der über eine Wiese fährt, mit einem blauen Himmel darüber und einer knallgelben Sonne. Erst als Lukas genau hinsieht, erkennt er die kleine Figur, die aus dem Krankenwagen genau in den Himmel zu schweben scheint, es sind nur ein paar Striche und die Figur ist gespensterhaft verwischt, aber gerade das reicht, um ihm wieder mal die Tränen in die Augen zu treiben.
    Dann muss Karlotta noch mal zur Toilette, und als Lukas’ Mutter mit ihr verschwunden ist, dreht er sich zu der Ärztin.
    Â»Nett, dass Sie extra hergekommen sind«, sagt er.
    Â»Das ist das wenigste, was ich tun kann. Aber deine kleine Schwester wird das schaffen, sie ist stark.«
    Â»Leonie hat es nicht geschafft«, sagt Lukas, eigentlich ohne es zu wollen, es ist ihm einfach so rausgerutscht.
    Die Ärztin zögert einen Moment, bevor sie antwortet. »Das Krankheitsbild bei Karlotta war zu Beginn der Behandlung zum Glück noch nicht sehr ausgeprägt, das heißt außerhalb des Knochenmarks waren noch keine weiteren Organe von Leukämiezellen befallen. Damit standen die Chancen gut, dass wir mit einer Behandlung mit Zytostatika, also Zellwachstum hemmenden Medikamenten, Erfolg haben und innerhalb von fünf bis acht Wochen eine Remission der meisten Leukämiezellen herbeiführen könnten. Aber wir haben immer gesagt, dass das nur der erste Schritt ist und wir dann weitersehen müssen. Wir werden jetzt auf jeden Fall eine Intensivierungstherapie anschließen, zur präventiven Behandlung des Zentralnervensystems, eventuell auch mit einer Bestrahlung des Kopfes, um zu verhindern, das sich Leukämiezellen im Gehirn oder Rückenmark ansiedeln oder weiter ausbreiten.« Sie macht eine kurze Pause. »Karlotta ist in guten Händen hier, glaub mir«, fügt sie dann hinzu. »Und ich bin ständig in Verbindung mit den behandelnden Ärzten, sodass wir den weiteren Therapieplan gemeinsam entwickeln können. Und wenn ihr irgendwelche Fragen habt, könnt ihr mich jederzeit ansprechen, okay?«
    Â»Sie waren gestern auf der Demo von meiner Mutter und den anderen Eltern, wegen Leonie«, erwidert Lukas unvermittelt. »Und Sie wollten noch irgendwas sagen, nachdem der Direktor vom AKW mit seiner Rede fertig war, aber …« Er blickt die Ärztin fragend an. Als sie abwehrend die Augenbrauen hochzieht, weiß er, dass sie jetzt auf der Hut ist. Aber er stellt seine Frage trotzdem: »Was? Was wollten Sie sagen? Es hatte irgendwas mit dem Satz zu tun, dass die Ursachen für die auffällige Häufung von Leukämie bei Kindern in Wendburg nicht auf das AKW zurückzuführen sind, richtig? Sie sind anderer Meinung?«
    Die Ärztin holt tief Luft, als wollte sie Zeit schinden, um ihre Antwort genau abwägen zu

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