Stoerfall in Reaktor 1
in der Nacht zuvor den Kampf gegen die heimtückische Krankheit verloren hatte. Sowohl der Wendburger Bürgermeister Karl Wollenschläger als auch der Leiter des Kernkraftwerkes, Dr. Jürgen Schröder, gaben ihrer Betroffenheit Ausdruck. Aber der Bürgermeister nahm die Aktion auch zum Anlass, um gemeinsam mit Dr. Schröder nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass es keinen gesicherten Zusammenhang zwischen Leonies Erkrankung und dem Werk geben würde. âºWir dürfen uns in unseren Entscheidungen für die Zukunft nicht von Angst leiten lassen, sondern was zählt, sind einzig und allein sachliche Argumente, und die sprechen eindeutig für die Kernkraft als tragfähige Brückentechnologie, bis Wendburg endgültig vom Netz gehtâ¹, so Bürgermeister Wollenschläger.
Das Kernkraftwerk ist seit nunmehr über zehn Jahren in Betrieb, und der kleine Ort Wendburg profitiert von diesem Standort. Das Schwimmbad, die Tennishalle und das Kulturzentrum wären ohne das Kraftwerk nicht möglich gewesen. Der Bürgermeister sagte weiter dazu: âºWir können uns glücklich schätzen, dass Wendburg sich zu einer blühenden Gemeinde entwickelt hat. Ob das auch in Zukunft so bleiben wird, bleibt abzuwarten. Das sind Entscheidungen, die wir leider nicht in der Hand haben.â¹ Selbstverständlich werde man auch für die Restlaufzeit des Werks alles tun, um jedes Risiko für die Bevölkerung auf ein Minimum zu reduzieren. Dr. Schröder betonte abschlieÃend, dass umgehend eine Untersuchung eingeleitet wird, um eventuelle Zusammenhänge zwischen Leukämie und einer möglichen Strahlenbelastung definitiv ausschlieÃen zu können.
Am kommenden Freitag lädt der Kernkraftwerksbetreiber ab 14 Uhr zu einem âºTag der offenen Türâ¹ ein. Hier können interessierte Bürger ihren Wissensdurst stillen. Auch ein Rahmenprogramm für Kinder wird es geben. Und vielleicht werden dann auch schon die Weichen für so manchen zukünftigen Wissenschaftler gestellt, wie den kleinen Philip (10) aus Süddeutschland, der mit seinen Eltern die Ferien in Wendburg verbringt und am Freitag unbedingt lernen will, wie so ein Siedewasserreaktor funktioniert. âºFrüher wollte ich immer Baggerfahrer werden, aber ich glaube, Ingenieur ist doch besserâ¹, sagt Philip zu Bürgermeister Wollenschläger (siehe Foto). Nun, bis dahin ist sicher noch ein weiter Weg, aber aus so manchem Kindheitstraum ist schon Wirklichkeit geworden.«
Lukasâ Hände zittern so sehr, dass er kaum noch den Namen unter dem Artikel lesen kann: Michael Meyer. Aber der einzige Redakteur, der gestern vor Ort war, war doch dieser Gunnar Berger, der ihm seine Karte gegeben hat, denkt Lukas irritiert. Und was ist das überhaupt für ein Artikel? Das ist doch fast alles frei erfunden und es klingt eher wie ein Werbetext für eine Pro-Atomkraft-Broschüre. Kein Wort darüber, dass es mehr als nur den einen Leukämiefall in Wendburg gibt, nur hohles Geschwafel, als hätte der Bürgermeister den Text selbst geschrieben. Der ganze Artikel ist einfach nur dreist!
»Fertig?«, hört Lukas eine genervte Stimme. »Oder soll ich dir vielleicht noch einen Kaffee bringen?« Die Frau aus dem Kiosk blickt ihn böse an.
»Was?«, fragt Lukas.
»Nee, so nicht! Entweder du kaufst die Zeitung jetzt oder du verschwindest hier. Das gibtâs doch gar nicht, liest der hier in aller Ruhe meine Zeitung! Eine Unverschämtheit ist das! Bin ich vielleicht die Leihbücherei, oder was glaubst du, wo du hier bist? Ja, jetzt mach mal ruhig auch noch ein paar Knicke rein, damit ich sie gleich wegwerfen kann!«
»Regen Sie sich mal wieder ab, ist ja gut â¦Â« Lukas kramt sein Geld aus der Tasche und legt ihr zwei Euro auf den Plastikteller neben den Weingummis. »Der Rest ist für Sie. Aber trinken Sie nicht alles durcheinander, das kommt nicht so gut.«
»Unverschämtheit!«, keift die Frau hinter ihm her, als er sich umdreht und geht. »So was ist mir ja wohl noch nie passiert. Der gehört doch eingesperrt!«
Ein Geschäftsmann mit Anzug und Aktenkoffer verlangsamt seine Schritte und überlegt eindeutig, ob er eingreifen soll. Lukas festhalten und die Polizei rufen oder so was.
»Eins eins null«, sagt Lukas im Vorbeigehen. »Ist umsonst, der Anruf. Aber vielleicht sind die Bullen gerade zu beschäftigt, um zu kommen. Rufen
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