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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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bedaure, um so mehr, als er in ihm einen Menschen zu sehen glaube, der die Augen nur halb geschlossen habe. Doch er, Penser, könne nicht davon ablassen, immer wieder das scheinbar Aussichtslose zu unternehmen, nämlich mit der Hoffnung, die Frage eines Tages beantworten zu können, sehen zu lernen. Er werde wie früher seine Nase in Dinge stecken, die ihn offiziell nichts angingen. Er identifiziere sich außerordentlich mit den isobanischen Problemen. Man könne hier wahrlich lernen. Ihm wünsche er viel Glück. PS: Die in dem Reservat Lebenden nennt man Reservionisten. Penser. Die vergangenen zwei Tage erwähnte er mit keinem Wort.
Grünspan empfand etwas wie Feuer und Wasser in seinem Gesicht. Pensers Glückwunsch verletzte ihn. Er merkte sehr wohl die Ironie, und er sagte ihr in seiner Hilflosigkeit Arroganz nach. Er verwehrte es Penser, ihm Glück zu wünschen. Ein Mensch in dessen Situation, welche Anmaßung! Er hätte sich nie mit ihm einlassen sollen. Ein hoffnungsloser Fall. Er begriff, daß man niemandem helfen kann, der sich in Ermangelung konkreter und abrechenbarer Erfolge im Leben Scheinproblemen widmet. Sollte er ihn bedauern? Ein Individuum, ständig im Aufbruch und ständig am Ende; ein erwachsener Mensch. Hier trennten sich Gott sei Dank ihre Wege. Er hätte erleichtert aufatmen können. Nicht, daß er einen Verlust empfunden hätte, aber zwangsläufig mußte Penser sich ohne die helfende Hand eines Freundes selbst zerstören. Seine Phantasie versuchte, die Räume zu ermessen, in denen sich der flüchtige Freund nun aufhielt. Was für Abenteuer harrten seiner, was für neue Donquichotterien? Dieser Bursche war tatsächlich ein Anachronismus. Mochte er die Folgen seiner Unbelehrbarkeit ausbaden. Aufzuhalten war ohnehin nichts mehr. Er beruhigte sich mit dem Argument, er hätte ihn nicht abhalten können.
Frei von jeder Bedrohung durch Penser, gehörte der Abend ihm. Er faltete das Schreiben zusammen, und automatisch suchten seine Augen auf der unbeschriebenen Rückseite nach Worten, die ihm, er wußte nicht was, erklären sollten. Was suchte sein Blick in der Weite der Landschaft vor seinem Fenster?
Die drei Sonnen strahlten ein hartes farbloses Licht aus, das alle Gegenstände in größerer Entfernung mit einer transparenten Hülle zu umgeben schien. Die Küste wirkte wie ein Spielzeugmodell, fertig zum Versand.
Es mußte Zeit für den Wetterbericht sein. Der Gedanke an die Muße des Abends verschaffte ihm ungemein Erleichterung. Das leise Schwingen der Liegeschaukel versetzte ihn in einen Zustand von Erregung und Gelassenheit. Genau in der Mitte fand er seine Harmonie.
Überlebensgroß erschien auf der Bildwand das Gesicht einer Frau. Das Gesicht Granovedas! Ihm stockte der Atem. Da war sie, und sie war unerreichbar. Er hatte sie verloren. Die Tragik seines Zeitalters war ihm bewußt. Sie trennten wahrhaftig Welten. Vor diesem unabwendbaren Verlust durfte er Pensers Weggehen wenigstens als schmerzlich empfinden. Doch das Wichtigste blieb ihm: die Erde! Seine Aufgabe. Nichts war wichtiger. Wenigstens diese Erkenntnis hinterließ die Erfahrung mit beiden ihm.
In Granovedas Stimme lag eine unerhörte Nuance. Ahnte sie, daß er sie sah?
»Die allgemeine Wetterlage! Choreographie…«
Er hörte nicht auf die Namen. Ihr Gesicht nahm ihn gefangen. Es schien, als sehe sie ihn wirklich. Sie lächelte anders als berufsgeübte Kolleginnen…
»Unter Mitwirkung des Ballettensembles, der Solisten…«
Die Musik präludierte in Leichtigkeit. Eine transparente Mauer aus Tönen baute sich auf, hinter der sich die Gewalt zusammenballte. Anscheinend schwerelos wirbelten die Tänzer über die Bühne. Noch bestimmte sie der Glaube an den Frieden. Noch vertrauten sie ihrer Geschlossenheit, der Katastrophe zu begegnen.
Dann stimmten alle Instrumente ein in einen gewaltigen Aufschrei, ein Stöhnen und Brausen. Die Phalanx der Tänzer brach auf. Liebende trennte der Ausbruch der Elemente, Feinde zwang er, ihre Feindschaft zu vergessen. Ein Malstrom aus Leibern raste über die Fläche.
Dem Wirbelsturm folgte wolkenbruchartiger Regen.
Granoveda kündigte die Darbietung einer Ballade an. Der Interpret mußte eine besondere Kostbarkeit sein. Sie betonte seinen Namen mit einem ehrfurchtsvollen Ton.
Auf der Bildwand erschien ein Isobaner, dessen reife Züge in Kontrast zur Fülle seines Haars, das noch keine graue Strähne zierte, stand. Eine Persönlichkeit, die die Höhen und Tiefen des Lebens in sich vereinte. Die

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