Störgröße M
Zusammenarbeit der beiden großen Weltbünde zögerte die Existenzkrise nur hinaus. Wie vor Jahrhunderten drohte das friedliche Nebeneinander wieder ein Tanz auf des Messers Schneide zu werden, wenngleich ein Krieg zwecks Okkupation von Rohstoffquellen sinnloser denn je war.
Aus der Not eine Tugend machend, hatte man gemeinsam den Entschluß gefaßt, die Erde zu verlassen, ein Programm, das sich über den Zeitraum von Generationen erstrecken würde und die stufenweise Reduzierung der irdischen Population um drei Milliarden vornehmlich jüngerer Menschen zum Inhalt hatte. Den Rest, etwas über eine Milliarde, würde die Erde wenigstens so lange noch tragen können, bis der Nullstand erreicht war.
Um künftige Konfrontationen von vornherein auszuschalten, galt es, zwei Planeten zu finden, die der menschlichen Existenz geeignete Bedingungen boten.
Sonden hatten den vierten Begleiter der Omega-Tauri-Sonne als eine Traumwelt ausgewiesen, ein Dorado des Überflusses und der Schönheit, ein wahres Land Schlaraffia. Nur um Winzigkeiten stand der fünfte Planet jenem nach. Seine Durchschnittstemperatur lag etwas niedriger, seine Landschaft war herb, vielleicht sogar schroff. Im Namen des Glücks zukünftiger Generationen erschien ihnen das wichtig genug, Kopf und Kragen zu riskieren: Der Sieger des Rennens hatte die Wahl!
»Bender«, sagte Laurenz, »du brauchst mir nicht auseinanderzusetzen, daß es um große Dinge geht.«
»Verantwortung«, warf Molm gewichtig ein.
»Vorerst tragen wir Verantwortung für uns.« Laurenz’ Stimme wurde laut und hell. »Für die Besatzung, für das Schiff! Wem wäre gedient, lösten wir uns in Atome auf.« Er verstummte mit dem Gefühl, alles gesagt zu haben.
Gendries lächelte ihm spöttisch zu. »Du bleibst auf halbem Wege stehn; wie immer.«
Wieso reagierte sie in letzter Zeit so aggressiv? War ihrer beider Verhältnis nicht stets klar und eindeutig gewesen? Was wußte er von ihr?
Als Wesentlichstes fiel ihm ihre Verläßlichkeit ein. Und umgekehrt? Darüber hatte er sich nie Gedanken gemacht. Ihr Spott war mehr als provokant: intim. Das gefiel ihm nicht. Was sollte das? Es war nicht der Moment, unkonzentriert zu sein. Trotzdem belastete weiterhin der Verdacht seine Gedanken, sie bezwecke etwas Persönliches, Entblößendes. Aber was wollte sie? Er hatte doch Stellung bezogen. Sollte sie es gut sein lassen oder sich selber äußern.
Doch wer wagte es schon, dem Kommandanten zu widersprechen? Parchold. Bender herrschte keinesfalls wie ein Despot, auch galt er nicht als nachtragend. Seine Argumente widerlegten jeglichen Kontrahenten mit einer solchen Überzeugungskraft, daß demselben in der Regel nichts anderes blieb, als an der eigenen Fähigkeit zu zweifeln. Nun ja, einmal hatte sie Bender wegen der hohen Beschleunigung im Unterlichtbereich gewarnt. Erstmalig auf dieser Reise stellte er sich gegen seinen Kommandanten. Er fühlte sich mit der Rolle nicht vertraut. Ein wenig erleichterte es ihn schon, daß Parchold und Gendries mit ihm waren. Parchold, dessen Zuneigung ihm imponierte. Gendries, deren Stellung ihm nicht immer klar erschien.
Sie und er waren sich einig gewesen, daß es auf keinen Fall dazu kommen durfte, den Rücksprung aus dem Hyperraum erst innerhalb des Omega-Tauri-Systems vorzunehmen. Indessen, wie es aussah, wollte Bender, die Warnung des Kyberneten mißachtend, es tatsächlich wagen.
»Genug«, sagte Bender, »an die Arbeit!« Das war ein unwiderruflicher, Eile fordernder Befehl.
»Einen Moment«, widersprach Laurenz. Die Gesichter wandten sich ihm zu. Ohne Hast überflog er sie. Fast schuldhaft berührte ihn Benders totenbleiches Antlitz. Gendries’ Miene war selbstvergessen vor Aufmerksamkeit, doch ihr Blick unerträglich in seiner Ruhe.
»Was wollte ich sagen? Ah ja.« Er räusperte sich und starrte auf seine Hände. »Ich kenne dich seit dreizehn Jahren, Bender. Alles für diesen Beruf Lebenswichtige habe ich von dir gelernt. Der Flug durch den Kosmos ist nicht ungefährlicher geworden. Aber bis heute haben wir’s überlebt, weil wir einen Grundsatz nie verletzten: Wir gingen nie bis an die äußerste Grenze, wir behielten immer eine kleine Reserve.«
Bender schnitt seine Rede mit einer schroffen Handbewegung ab. »Wir wagten trotzdem immer alles!«
Laurenz umklammerte die Armlehnen seines Sessels. »Unter dir bin ich Erster geworden, ich bin dein Stellvertreter. Warum wohl wollte ich nie weg, ein eigenes Kommando? Du erschienst mir als das Ideal eines
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