Störgröße M
Wangen. »Was verschafft dir ein schlechtes Gewissen? Ich höre.«
»Verschone mich mit deinen Spitzfindigkeiten.« Laurenz warf sich zurück in die Polsterung. »Ich wollte allein sein, nichts weiter. Wie hast du mich gefunden?«
»Ich war auf der Suche nach dir, da sah ich Gendries aus der Richtung kommen.«
»Bist du Hellseher?«
»Braucht man ja wohl in dieser Beziehung nicht zu sein«, sagte Bender langsam und freundlich.
»Ah ja, einer deiner Grundsätze. Ein guter Kommandant sieht alles.«
Sie lachten.
»Es hätte gereicht«, sagte Laurenz in Benders Lachen hinein, »wenn du mich über Netz gerufen hättest.«
»Ich wollte mit dir alleine reden.«
»Warum?«
»Ich wollte mich bei dir entschuldigen«, sagte Bender.
»Wofür?«
»Ich habe mich immer auf dich verlassen können. Du wärst kein schlechterer Kommandant als ich.«
»Danke für die Blumen«, erwiderte Laurenz mit dem gehörigen Ernst.
»Auch wenn du es bestreitest«, fuhr Bender fort, »du weißt sehr gut, wieviel von unserem Sieg abhängt. Du bist zu sehr Realist, als daß dich Parcholds oder Gendries’ naiver Idealismus beeindrucken könnte. Die Zukunft gibt nur dem eine Chance, der den vierten Planeten besiedelt.« Seine Stimme hob sich rhetorisch. »Wer nicht begreift, daß wir, ich meine, wir Menschen auf der Erde, im Begriff stehen, eine historische Wegmarke von einmaliger Wichtigkeit zu passieren, dem muß man es mit allen Mitteln klarmachen. Was nach Jahrtausenden menschlicher Entwicklung noch immer nicht erreicht ist: eine Welt in Einheit, frei von gesellschaftlichen Rudimenten in der Art der Transozeanischen Staaten, das wird uns nun geschenkt. Aber die Stärke und das Wohlergehen dieser zukünftigen Welt, unserer Welt, hängt von ihrer Ausgangsposition ab, eben von einem Optimum an Lebensbedingungen.« Er richtete sich auf, hob beschwörend die Arme. »Fasziniert dich nicht der Gedanke, die Zukunft einer ganzen Welt in deine Hände gelegt zu sehen? Wir, jawohl, wir legen unseren Nachkommen einen ganzen Planeten in die Wiege. Frei von jeder Bedrohung, frei von äußeren Zwängen, nur ihrem menschlichen Gewissen gehorchend, werden sie ihn nutzen können. Wir müssen dieses Rennen gewinnen!« Sein Gesicht zerfloß in den Schatten des Dämmerlichts, das vom Fußboden her aufschwebte. Durch keine Kraft verzerrt, waren die Kreise der Augen in Ruhe auf ihn gerichtet. Verzückung gab seinen Zügen etwas von einer genialischen Harmonie. Dieser Mensch schien eins zu sein mit seinen Worten, mit seiner Idee.
Einige Zeit gab sich Laurenz der Suggestion hin. Benders Vorstellungen nahmen ihn gänzlich gefangen. War nicht alles haargenau so? Was konnte an Erwägungen und Einwänden vor diesem Bild noch bestehen. Bender brachte es fertig, Feuer und Wasser zu einem neuen Element zu verschmelzen. Welch eine gefahrvolle Illusion. Sonne und Regen gehörten nun einmal nicht zusammen. Er vermeinte, ein Brausen zu hören, das Donnern fallender Wasser zwischen Wänden aus Fels, das Knistern herrlicher Kälte, das Fauchen von Flammen.
»Nein, Bender, nein. Warum soll der fünfte Planet schlechter sein? Gewiß, es ist eine rauhe Welt und voller Schroffheit. Aber sollten wir nicht vielmehr einer Welt mißtrauen, die ihre Reichtümer so freigebig anbietet, daß man des Bückens danach müde wird? Überlassen wir Aramet den vierten Planeten und vertrauen unseren Nachkommen die Eroberung des fünften an. Schenken wir ihnen die Kraft, die sie daraus gewinnen.« Erstaunt über seine eigenen Worte, verstummte er.
Ohne Spott sagte Bender: »Du bist eben kein Kämpfer. Du versuchst dich herauszureden, weil es dir an Mut zur Auseinandersetzung fehlt. Du willst sie Späteren zuschieben, die sich dagegen nicht wehren können.« Er erhob sich. »Es ist gut, daß die Entscheidung in meinem Ermessen liegt, und ich habe mich entschieden.« Vom Eingang her bemerkte er noch: »Zu meiner Beruhigung brauchte ich nicht einmal die Gewißheit, daß der überwiegende Teil der Mannschaft meine Meinung teilt, denn ich habe nie an der Richtigkeit meiner Entschlüsse gezweifelt.«
Lag es an dem Raum? In seiner sich krümmenden Struktur erschien Benders Gestalt gebeugt.
Er verharrte eine Weile, um das Bild von seiner Erinnerung nachzeichnen zu lassen. Molms Stimme zerschlug den Spiegel, hinterließ Scherben. Erst als das Klirren verklungen war, begriff Laurenz den Sinn.
Als er in die Zentrale zurückkehrte, traf er die gesamte Leitung an. Neben dem Eingang stand eine Gruppe von fünf Personen,
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