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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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sich noch gut der Zeit erinnern, da er Ollstein mit
rückhaltloser Offenheit begegnet war. Er kannte keine Tabus,
keine Gepflogenheiten. Aus Unwissenheit allein ignorierte er
diese Grenzen im Vermögen seiner Mitarbeiter und
Vorgesetzten. Nichts weiter war auch der Grund, weshalb ihm
die Herkunft seiner Schwierigkeiten nicht klargeworden war,
noch weniger ihre Absicht. Jetzt erst begriff er. Jeperzon hatte
es deutlich genug ausgesprochen.
Es hatte damit begonnen, daß seine Meldungen und Berichte
nicht in das Schema der Formulare passen wollten. Das
Phasotyron bekam Schwierigkeiten mit der Auswertung.
Jemand, ein Mensch der Koordinationsleitstelle, mußte sich
damit befassen. Man hielt ihn an, seine Darstellungen in der
gebräuchlichen Art und Weise zu erstellen. Seiner Entgegnung,
daß diese Form nicht ausreiche, die tatsächlichen Hergänge zu
erfassen, antwortete man mit Achselzucken. Die
Phasotyronauswertung bewährte sich seit fünfundachtzig
Jahren. Man riet ihm schließlich, seine Aufträge so
auszuführen, daß die Berichte in die Formulare paßten. Zuerst wollte er verzweifeln. Dann begegnete er Leuten in
Administratordiensträngen mit Mißtrauen und hörte einfach
weg. Die Worte erreichten ihn trotzdem, und er begann
zunehmend aufzubegehren. Theoretisch ein simpler Prozeß.
Die Konkretheit seines Ablaufs hatte er im Moment des
Entstehens nie beobachtet. Doch seitdem er auf Japetus weilte,
wurde ihm eine Veränderung an sich selbst bewußt. Hatte
Jeperzon damit zu tun? »Komisch«, sagte er halblaut. Jonathan grinste, wodurch seine Züge allerdings wenig
gewannen. Aber das war ein oberflächlicher Eindruck.
Tatsächlich hätte es ihm gut angestanden, immer zu lächeln.
Die Augen in der Tiefe ihrer durch das Gestrüpp der Brauen verhängten Höhlen glänzten auf und verliehen seinem Trollgesicht einen kindlich offenen Zug. Hier, im Dämmerschein des Saturn, bemerkte Dincklee in ihnen ein
Funkeln wie das Gleißen verborgener Schätze.
»Schön hier«, sagte er.
»Nicht wahr«, erwiderte Jonathan. »Man braucht was, wo
man sich selbst begegnet. Hier treff ich mich mit mir selber.« Dincklee schüttelte vorsichtig den Kopf. Aber Jonathan
achtete schon nicht mehr auf ihn.
In seiner ganzen Größe erhob sich der Planet über den
Horizont.
Könnte das mein Gesicht sein? fragte er sich. Worin begegne
ich mir? Jonathan hat’s gut. Er hat es sich leicht gemacht. Ich
weiß nicht, wie ich wirklich aussehe. Ich lege mich mit Ollstein
an, ich provoziere Jeperzon, und sie fangen an, über sich und
mich zu reden, und manchmal entblößen sie sich, und ich
denke, ja, da haben sie recht und da. Aber am Schluß stellt sich
jedesmal heraus, sie haben mich gar nicht gemeint, sondern
wirklich nur sich. Du hast ihr Spiegel zu sein, und nicht
umgekehrt, und lieber zerschlagen sie ihn, als dich einen Blick
hineinwerfen zu lassen.
»Dieser Planet da und das alles«, sagte er zu Jonathan, »ist
kalter Kaffee. Du machst dir was vor. Geh ‘rein und hau
Jeperzon eins in die Fresse. Da findest du dich wieder.« Ohne das heruntergezogene Dach der Brauen wirkten
Jonathans Augen entsetzlich nackt und schutzlos.
»Du hattest recht«, sagte Dincklee verlegen, »er hat mich
angepfiffen wegen der Aktion um ›C4‹.«
»Zwei deiner Leute hat die Strahlung übel erwischt.« »Es hätte schlimmer ausgehen können«, sagte Dincklee. »Sie
befinden sich auf dem Wege der Besserung, und ›C4‹ ist nicht
in die Luft geflogen.«
»Jeperzon hätte sich das nie getraut«, sagte Jonathan. »Er
beneidet dich darum, daß du dich so was traust, verstehst du.« »Ja, ich glaube, ich verstehe«, entgegnete Dincklee. Indessen
versetzte ihn Jonathans Urteil in Erstaunen.
»Aber er braucht solche Leute wie dich«, fuhr der fort. »Alle
brauchen sie einen, der ihnen die Kastanien aus dem Feuer
holt. Nur deshalb hat er dich genommen. Die Stationen hier
ringsum auf den Monden sind allesamt heiße Kastanien. Ich
habe gewarnt von Anfang an. Es hat keiner auf mich gehört.
Energie vom Saturn zu saugen! Davor wirkte jeder Einwand
lächerlich. Jeperzon hat sich auf die kombinierte PhasoKybertyronanalyse verlassen. Natürlich, die Berechnungen
waren unanfechtbar.«
»Ich kenne das«, sagte Dincklee. Er hätte Jonathan soviel
Unerbittlichkeit nicht zugetraut und fand ihn demzufolge in
einer impulsiven Reaktion überaus sympathisch.
»Man kann die Wahrscheinlichkeit errechnen, mit der ein
Schiff sinken wird. Die Ratten aber wittern den Moment.« Ein
Lächeln besänftigte

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