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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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Luft. Er nickte.
»Es hat den Anschein nicht!« rief Jeperzon. Er posierte in
mühsamer Beherrschung. Allein in seinen Augen
wetterleuchtete es.
Es reizte Dincklee, ihn aus seiner Reserve zu locken. »Eine
Frage«, sagte er, »möchte ich geklärt wissen. Wer von meinen
Leuten hat Ihnen den wahren Ablauf der Ereignisse bei ›C4‹
geschildert? Oder sagen wir besser: hinterbracht!«
»Ich begreife Sie nicht«, sagte Jeperzon ruhig. »Besitzen Sie
keinerlei Anstand oder Moral? Sie hatten also vor, mich zu
belügen.«
»Nennen Sie es, wie Sie wollen.« Dincklee lächelte
unverschämt. »Nehmen Sie zu meinen Gunsten an, ich wollte
Ihrem Gewissen eine Last ersparen. Was halten Sie übrigens
von dem Sprichwort, die Geschichte gibt dem Sieger recht?« »Die Geschichte!« Jeperzon wischte das Wort mit einer
Handbewegung hinweg. »Anstatt die Geschichte derart zu
strapazieren, sollten Sie lieber aus der Ihren lernen. Ich gehe
Ihnen den Rat als Ihr väterlicher Freund.«
»Wenn ich ihn annehmen soll, dann beantworten Sie meine
Frage.«
»Ich denke nicht daran, mich erpressen zu lassen.« »Sie gestatten, daß ich an Ihrer väterlichen Freundschaft
Zweifel hege.«
»Junger Mann, entwickeln Sie sich nicht zum Ignoranten!« Dincklee begriff, er war einen Schritt zu weit gegangen. Es
war nicht eigentlich eine Einsicht, sondern mehr ein Fühlen.
Einen Moment lang widersprachen sich verschiedene
Überzeugungen in ihm. Es wäre das klügste gewesen, sich zu
entschuldigen. Jeperzon hatte ihn nie ungerecht behandelt. Er
hatte ihn sogar verantwortlich eingesetzt. Allerdings war im Zusammenhang mit seiner Versetzung nie offiziell von einer Disziplinarmaßnahme gesprochen worden. Es war nicht fair, daß er den Vorgang jetzt in dieser Form beschrieb. Er war also seinem Anwurf nichts schuldig geblieben. Das war alles. Es stand eins zu eins. Warum sollte er sich entschuldigen? Boden verschenken? Keinen Fußbreit mehr. Jeperzon wickelte ihn ein wie damals Ollstein. Er hatte nicht vor, noch einmal auf die
väterliche Tour hereinzufallen.
»Also«, forderte er, »wer von meinen Leuten hat Bericht
erstattet?«
Jeperzon grinste. »Als Einsatzleiter sollten Sie die Mitglieder
Ihrer Mannschaft besser kennen.«
»Das ist eine üble Masche von Ihnen«, sagte Dincklee. »Aber
bitte, ich kann Sie nicht zwingen. Im übrigen weiß ich nicht,
was Sie wollen. Sie haben die Besatzung von ›C4‹ unversehrt
geborgen. Wir haben die vollständige Vernichtung von ›C4‹
verhindert. Die Geschichte…«
»Die Geschichte, die Geschichte«, hielt Jeperzon ihm vor.
»Es gibt Vorschriften! Aber offensichtlich nicht für Sie. Diese
Verhaltensregeln hat sich nicht irgendein armer Irrer in einer
Vollmondnacht aus den Fingern gesogen. Sie sind dazu da,
mein Lieber, dem Individuum schnelles und umsichtiges
Handeln zu erleichtern. Sie stellen Denkhilfen dar, die die
Überlebenschance vergrößern.«
»Hätten wir sie befolgt, gäbe es jetzt drei Tote sowie
Totalschaden bei ›C4‹.«
»Zu Haus, Zivilleutnant Dincklee, am Kaffeetisch, mögen Sie
tun, was Ihnen beliebt. Sofern Sie sich aber unter Menschen
begeben – und sei es nur auf die Straße –, haben Sie sich einer
Disziplin unterzuordnen. Falls es Ihnen entfallen sein sollte,
wir befinden uns im. All, etliche Lichtminuten von der Erde
entfernt. Ihre Geschichte interessiert mich einen Dreck. Hier
gibt es keine Geschichte, keine Privatgeschichte, kein Privatleben, keinen Privattod. Hier gibt es nichts, was nur Sie allein beträfe. Ich möchte, daß Sie das begreifen!« In ironischer Hoffnungslosigkeit winkte Jeperzon ab. Er ließ sich in einen Sessel sinken und forderte Dincklee auf, ebenfalls Platz zu
nehmen.
»Betrachten wir doch einmal nüchtern die Tatsachen.« Sein
Finger focht gegen unsichtbare Widersacher. »In der
Mondbasis wollte man Sie loswerden. Anhängen konnte Ihnen
Ollstein nicht direkt etwas. Aber Ihre Arbeitsmethoden kamen
nicht gut an, Sie verunsicherten Ihre Mitarbeiter und
Vorgesetzten. Nun ja, die Erfolge Ihrer Gruppe…« Er spitzte
gleichmütig die Lippen. »Andere haben auch Erfolge zu
verbuchen, nach einem besseren Rezept als ›Der Weg ist
nichts, das Ziel ist alles‹.« .
Dincklee verzichtete darauf, sich zu verteidigen. Seiner
Erfahrung nach konnte man einer vorgefaßten Meinung mit
keinem Argument begegnen. Was nützte es, ihm zu erwidern,
daß man ihn abgeschoben hatte. Jeperzon würde ihn auslachen.
Neider? Lieber Freund, die archaischen Zeitalter sind lange
passée.

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