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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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Außenstationen errichten, im Orbit arbeiten, auf den
Asteroiden, das erfordert ganze Männer. Einer für alle, alle für
einen, Kennen Sie die drei Musketiere, Zivilleutnant Dincklee? Er hätte seine Mitarbeiter verunsichert? Eine glatte
Verdrehung! Wer von diesen Mitarbeitern und Vorgesetzten
hätte wohl den Aufbau der Station »Merkur II« vollbracht?
Wer von denen, die ein besseres Rezept haben sollten? Keiner von ihnen hatte damals den Hinweis auf die
Bodenbeschaffenheit ernst genommen. Er hatte, entgegen der
Festlegung, den Standort eigenmächtig verändert. Als die
Nachschubrakete am ursprünglichen Standort abstürzte,
behaupteten seine Widersacher, wegen der Verlegung der
Station hätte das Landemanöver nicht korrekt gesteuert werden
können. Aber eben die Explosion beim Aufschlag legte die Magmablase frei, die kein Phasotyron errechnet hatte. Hätte die Felsdecke die Station sowie das Gewicht weich landender Raumschiffe getragen? Die Frage war niemals geklärt worden. Seine Rehabilitierung blieb aus. Daß die Merkurstation noch immer stand, beschämte jene, welche die Dienstvorschriften
auswendig gelernt hatten.
»Glauben Sie mir«, sagte Jeperzon, »es ist immer von
Nachteil, sich im alleinigen Besitz der Wahrheit zu wähnen. Es
gibt Situationen, da haben beide recht. Es war unklug, sich mit
Ollstein anzulegen. Er war es, der im ganzen Solarsystem
herumgekurbelt hat, um Sie loszuwerden.«
»Warum erzählen Sie mir das?«
Jeperzon beantwortete seine Frage nicht. »Keiner wollte Sie.
Auch dafür hatte er gesorgt. Hätte ich mich nicht über alle
Vorurteile hinweggesetzt, er würde Sie irgendwohin geekelt
haben, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Einmal
kommt immer der Tag, da kann man einem ein Versehen
anlasten oder es ignorieren.«
Da haben wir’s, dachte Dincklee. Indirekt gibt er seine
Absicht zu. In solchen Fällen wird immer indirekt geredet. »Ich
weiß nicht«, sagte er, »ob ich Ihnen dafür dankbar sein würde.
Erwarten Sie’s nicht.«
Jeperzon nickte bekümmert. »Ich hätte es mir denken sollen.
Reden wir Klartext. Sie unternehmen etwas außerhalb der
Ordnung. Geht es gut, kräht kein Hahn danach. Geht es schief,
trage ich die Verantwortung. Ich!«
»Eine sachliche Überlegung.« Dincklee ließ seinen
Zeigefinger kreisen. »Was hätte ich tun sollen? Die drei in ›C4‹
verrecken lassen?«
»Die Chance stand zehntausend zu eins, daß Ihre Mannschaft
es nicht schafft. Dreiundzwanzig Tote gegen drei! Ich weiß, die
Rechnung klingt zynisch. Aber die Strahlung war bereits so
stark, daß die Bestimmungen eindeutig waren. Ich halte Sie nicht für einen selbstmörderischen Philanthropen. Ehrgeiz, mein Lieber…« Er türmte alle Argumente mit einer Handbewegung zu einer Bastion auf. »Ich versetze Sie bis auf Widerruf in den Innendienst. Ronninger wird eine passable
Vertretung für Sie sein.« Er entließ ihn mit einem Händedruck. Auf dem Gang traf Dincklee Jonathan. Der Saturnspezialist
schaukelte auf seinen krummen Beinen heran und rief
kummervoll heiter: »Hat dir der Alte eine Abreibung verpaßt?
Ist mir schon klar. Ihr habt die drei von ›C4‹ rausgeholt. Wenn
sie draufgegangen wären, hätt’s ‘ne saftige Untersuchung
gegeben.«
»Und wenn wir mit draufgegangen wären?«
Jonathan winkte mit seiner großen, behaarten Hand. »Komm.
Ich lad’ dich ein zu einem Schluck.«
Sie setzten sich an einen Tisch nahe der Kuppelwand. Als
Scheide zwischen den Welten trennte sie Geborgenheit von
Chaos. Auf dem Grat zwischen diesen beiden Gegensätzen
schien sein Leben zu verlaufen. Er überlegte, aber immer
wieder waren sie ihm nur mit diesen beiden Worten
beschreibbar. Als einzig begehbar blieb der Weg zwischen
ihnen.
Umgeben von exotischen Gewächsen, deren Frische Hunger
auf Sonne und Schatten weckte, blickten sie nach draußen in
die vom Licht das Saturn erhellte Landschaft des Japetus. Den
Eindruck von Nähe und Ferne stellten allein die Silhouetten der
Felsbrüche vor der Riesenscheibe des Planeten her. Empfand er
Sehnsucht nach der Erde, nach einem Menschen? Wonach
eigentlich? Der Anblick dort draußen war überwältigend schön.
Er jedoch lehnte sich dagegen auf. Er suchte Bewegung. Dieses
stille Bild tötete seine Phantasie. Bilder! In seinem Leben sollte
Bewegung sein, und immer wieder würde er fröhlich eine neue
Richtung aufnehmen. Er balancierte an der Grenze des Chaos. Aber wohin sollte er sonst? Mußte man immer von wo nach
wo, von wem zu wem? Von Ollstein zu Jeperzon?
Er konnte

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