Störgröße M
Dienstbeginn entschuldigt hätte. Aber sie sagte nichts, und Dincklee war froh, nicht mit irgendeiner Floskel antworten zu müssen. Ihr Lächeln gefiel ihm, ohne daß er sich als Gegenstand ihrer Freundlichkeit begriffen hätte. Ein vergessenes Verlangen drängte ihn, sie zu einem weiteren Lächeln zu animieren. Aber es kam ihm nichts ein als der hilflose Satz: »Du bist müde.«
»Ja«, antwortete sie, und er wußte nicht, was ihn mehr überraschte, ihre Offenheit oder ihr Lächeln.
Dies, fand er, sei ein schöner Abschluß, die Aufhebung der Stupidität des Wachdienstes. Erwartete er noch etwas? Er beobachtete sie unentschlossen. Ihr Gesicht war ihm nie aufgefallen, ein Gesicht, das man unter Dutzenden wohl wiedererkennt, das man aber eine halbe Stunde später wieder vergißt. Es war eins von denen, die sich einem schwer einprägen, nicht weil sie nicht ungewöhnlich wären, sondern allein deshalb, weil sie sich verschließen. Ein froher Zug war auf ihrem Antlitz hinterblieben, und er dachte, vielleicht wartet sie auf ein Gespräch. Unkonzentriert umkreiste er die Vorstellung, daß er selbst es sein könnte, der darauf wartete: um wenigstens mit einer Erinnerung an den vergangenen Tag einzuschlafen, redete er sich ein.
»Bleib noch ein bißchen«, sagte sie. »Es ist alles ruhig.«
»Vielleicht«, erwiderte er, »vielleicht ist es wirklich so.«
»Wie ist das«, fragte sie, »wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht?«
Die Befürchtung, sie könnte darauf kommen, ihn zu bewundern, überfiel ihn. Er hatte sich abgewöhnt, Bewunderung zu bemerken. Die Undifferenziertheit solchen Ausdrucks, seine Neutralität, widerte ihn an.
»Glaub ja nicht«, sagte er, »das Unvorhergesehene wäre spannend, nur weil es überraschend eintritt.«
»War die Rettung von ›C4‹ nicht spannend?« fragte sie.
Da haben wir’s, dachte er enttäuscht. Gleich bricht sie in Begeisterungsrufe aus. Sie ist wie jeder Durchschnitt oberflächlich zu begeistern. Schade.
»Mir ist unklar, wovon du sprichst«, äußerte er mit verletzender Grobheit. »Es ist nicht spannend, wenns um Leben oder Tod geht. Das haben wir immer. Es wird höchstens spannend, wenn du entscheiden mußt, wenn dir keine Vorschrift und kein Präzedenzfall mehr hilft. Wenn du das meinst, das kannst du auch hier haben. Dazu brauchst du kein ›C4‹.«
»Trotzdem«, sagte sie, »ich bewundere dich.«
»Ich ahnte es!« Er klatschte sich mit der flachen Hand vor die Stirn und hoffte, sie wäre nun beleidigt.
Jedoch sie sagte nur: »Du bist arrogant.« Dann lächelte sie. »Du mußt deswegen nicht gleich gehen.«
»Oh«, erwiderte er, »ich hatte es nicht vor.« Er fand das Spiel plötzlich interessant. Es war ihm lange keine Frau begegnet, die es verstanden hatte, ihn mit dem ersten Eindruck zu täuschen. Ihr Geplänkel mit Floskeln fortzusetzen, hütete er sich. Er wünschte ihr Gutenachtgutewacht und sah ihr die Enttäuschung an. Er wollte tatsächlich gehen, um vielleicht später noch einmal hereinzuschauen.
Aus seiner Wendung zur Tür riß ihn das Alarmsignal des Kybertyrons. Er hatte seinen Grund zu warten.
In rasendem Tempo erschienen Schriftzeichen auf dem Bildschirm, formten Worte, Sätze. Dann stand der Text. Halblaut las Irelin.
»Funkspruch des Raumschiffs ›Messenger‹ aufgefangen.«
›»Messenger‹?« fragte Dincklee. »Nie gehört.«
Ihre Stimme wurde unverständlich. Er trat näher. Selber lesend, bewegte er seine Lippen erst lautlos mit dem Strom der Information, dann schlossen sich die Worte beinahe nahtlos aneinander.
»Raumschiff ›Messenger‹, Katalognummer 222/517/3V, gestartet vor achtundvierzig Jahren zu den äußeren Planeten. Letztes Planziel Pluto. Nach dem Rückstart von dort vor fünfundvierzig Jahren verschollen. Überreste auch von zwei Hilfsexpeditionen nicht aufgefunden. Suche seit vierzig Jahren eingestellt, Besatzung, achtundzwanzig Menschen, für tot erklärt.«
Die Angaben über die gegenwärtige Flugrichtung und Geschwindigkeit verblüfften ihn derart, daß seine Stimme ebenfalls in einem Flüsterton versiegte.
»Was für ein Schneckentempo«, bemerkte sie. »O Gott, vierzig Jahre! Wie haben sie das nur geschafft?«
»Sie müssen inzwischen Greise sein«, sagte er. »Frag an, wie die Lage ist, wieviel Überlebende und so weiter.«
Die Antwort erstaunte sie beide über alle Maßen: »Alle Besatzungsmitglieder wohlauf.«
Irelin forderte eine genauere Einschätzung der Situation.
Die ferne Stimme sagte: »Wir verfügen nur über Energie für
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